EU-Regierungen wollen Stammzellforschung weiter fördern

Forschungsinteressen wichtiger als Lebensrecht menschlicher Embryonen?

Die EU-Regierungen haben sich dafür ausgesprochen, die EU-Finanzhilfen für die Forschung an embryonalen Stammzellen unter Auflagen beizubehalten. Die Stammzellforschung könne die Suche nach neuen Therapieformen weiter voranbringen, betonten die in Brüssel tagenden Forschungsminister am Montag.

 (DR)

Die EU-Regierungen haben sich dafür ausgesprochen, die EU-Finanzhilfen für die Forschung an embryonalen Stammzellen unter Auflagen beizubehalten. Die Stammzellforschung könne die Suche nach neuen Therapieformen weiter voranbringen, betonten die in Brüssel tagenden Forschungsminister am Montag. Die Ressortchefs einigten sich allerdings auf eine Zusatz-Erklärung, nach der keine Projekte gefördert werden sollen, die darauf abzielen, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu töten. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz sprach von einer "schweren Niederlage für den Embryonenschutz in Europa".

Deutsche Steuergelder für Forschung, die in Deutschland strafbar wäre
Der Kompromiss sieht vor, dass die EU zwar keine Projekte finanziert, bei denen menschliche Embryonen zerstört werden. Gleichzeitig soll aber die Förderung von anderen Versuchen mit embryonalen Stammzellen möglich sein. Damit könnten mit Geldern deutscher Steuerzahler in anderen EU-Staaten Projekte gefördert werden, mit denen sich Forscher in Deutschland strafbar machen würden.

Schavan: Kompromiss akzeptierbar
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte sich ursprünglich dafür stark gemacht, Experimente mit embryonalen Stammzellen außer in wenigen Ausnahmefällen überhaupt nicht zu unterstützen. In Deutschland ist nur die Forschung an Stammzelllinien erlaubt, die vor dem 1.1.2002 hergestellt wurden. Dennoch könne sie den Kompromiss akzeptieren, da er den Schutz des menschlichen Lebens in den Vordergrund stelle, sagte Schavan nach der Debatte. Das Ziel der Bundesregierung sei es gewesen, mit der EU-Förderung keine Anreize zur Zerstörung von Embryonen zu schaffen und ein Mehr an Lebensschutz zu erreichen. Das sei mit der Erklärung der EU-Kommission gelungen.

Die Forschungsministerin wies Vorwürfe zurück, nicht hart genug verhandelt zu haben. Es habe sich in der Diskussion abgezeichnet, dass es keine Mehrheit für eine andere Lösung gebe. Schavan räumte ein, dass die einzelnen EU-Staaten mit nationalen Fördergeldern auch weiter Projekte fördern könnten, die Deutschland aus ethischen Gründen ablehne. Dafür könnten sie aber nach der rechtlich verbindlichen Kommissions-Erklärung keine EU-Gelder erhalten.

Europaparlament muss noch zustimmen
Stimmt auch das Europaparlament in seiner zweiten Lesung nach der Sommerpause dem Entwurf zu, ist der Weg frei für das Siebte Rahmenforschungsprogramm der EU, das insgesamt rund 54 Milliarden Euro umfasst. Davon ist allerdings nur ein kleiner Teil für die Stammzellforschung vorgesehen. EU-Forschungskommissar Janez Potocnik betonte, die neue Regelung ändere nichts an der bisherigen Förderpraxis der Kommission. Sie schaffe in erster Linie mehr Klarheit. Bisher seien weitaus mehr EU-Fördergelder für die adulte als für die embryonale Stammzellforschung ausgegeben worden. Nichts lasse darauf schließen, dass sich dies ändern werde.

Bischöfe bedauern Entscheidung
Die deutschen katholischen Bischöfe sprechen dagegen von einer schweren Niederlage für den Embryonenschutz in Europa. Das Recht auf Schutz des menschlichen Lebens vom Zeitpunkt der Befruchtung an sei nicht umfassend gewährleistet. Forschungsinteressen würden höher bewertet als die Würde und das Lebensrecht menschlicher Embryonen. Die Entscheidung sei um so bedauerlicher, als es Alternativen zur Embryonenforschung gebe, etwa die Forschung mit adulten Stammzellen oder Zellen aus dem Nabelschnurblut.
(epd, dr, KNA)

Prof. Eberhard Schockenhoff ist Moraltheologe in Freiburg und Mitglied des Nationalen Ethikrates. Er hält den Kompromiss für das kleinere Übel:

domradio: Bundesforschungsministerin Annette Schavan, die an dem Kompromiss ja maßgeblich beteiligt war, zeigte sich gestern zufrieden mit der Entscheidung. Sind Sie auch zufrieden damit?

Prof. Dr. Schockenhoff: Es ist schwierig, für ganz unterschiedliche europäische Länder mit verschiedenen Rechtstraditionen und unterschiedlichen Regelungen für die Stammzellforschung eine Regelung zu finden, der alle zustimmen können.
Ich denke, das deutsche Ansinnen, die deutschen Interessen, die unserem Embryonenschutzgesetz entspringen, sind im Augenblick gewahrt. An sich ist ja der Antrag, dass man auch embryonale Stammzellenprojekte fördern kann, genehmigt. Nur gleichzeitig wieder eingeschränkt durch eine entsprechende Selbstverpflichtung der EU-Behörden. Wie weit das in Zukunft ausreichen wird und in wie weit das auch in Zukunft ein wirksamer und verlässlicher Schutz sein wird, das ist im Augenblick nicht abzusehen.
Aber die Entscheidung ist sicher besser, als wenn man jetzt eine Genehmigung der embryonalen Stammzellforschung mit Hilfe von Gemeinschaftsgeldern der EU beschlossen hätte - das wäre die schlechtere Alternative gewesen.

domradio: Die Bischofskonferenz hat den Kompromiss kritisiert und spricht davon, dass es eine schwere Niederlage sei für den Embryonenschutz. Warum fallen die Bewertung der Bischofskonferenz und Ihre so unterschiedlich aus?

Prof. Dr. Schockenhoff: Man muss ja immer schauen, welches die Möglichkeiten der Politik sind. Es ist sicher richtig, dass das - aus der Rückschau betrachtet - wahrscheinlich einmal der Punkt sein wird, wo man sagen wird: Von da ab war es in Europa dann möglich, mit Gemeinschaftsgeld auch embryonale Stammstellforschungsprojekte zu fördern. Aber der nächste Schritt ist das ja noch nicht - im Augenblick wird sich nichts ändern. Aber die Frage ist, wie lange das andauern wird.

domradio: Die Bischofskonferenz hat in ihrer Kritik auf die Alternative verwiesen, an Stammzellen zu forschen, die aus einer Nabelschnur oder aus dem Körper eines erwachsenen Menschen gewonnen werden können.

Prof. Dr. Schockenhoff: Ja, es gibt andere Möglichkeiten, Stammzellen zu gewinnen.

domradio: Wäre das die Ideallösung Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. Schockenhoff: Es wäre eine gute Lösung, eine bessere Alternative. Vor allem weil man für die Forschung ja nicht Stammzellen in großen Mengen braucht. Gegen die Nabelblutgewinnung spricht, dass man für Therapiezwecke nicht genug hätte, aber für Forschungszwecke würde das ausreichen. Deshalb ist der Hinweis korrekt, dass man mit Hilfe von Stammzellen, die man aus Nabelschnurblut gewinnt, die jetzt anstehenden Forschungsprojekte eigentlich alle tatsächlich durchführen könnte.

domradio: Warum macht man das dann nicht?

Prof. Dr. Schockenhoff: Das müssten Sie die entsprechenden Forscher fragen, die solche Anträge stellen. Ich denke, es gibt auch in der Forschung häufig etwas Irrationales. Die embryonalen Stammzellen sind nun mal in besonderer Weise im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte - das gibt einem natürlich Aufmerksamkeit! Ich denke, die Freude, etwas durchzusetzen, ist für viele Forscher ein Motiv ihres persönlichen Tuns. Einen vernünftigen, rationalen Grund kann ich nicht erkennen.