Kritik zu staatlichem Umgang mit dem Breitscheidplatz-Anschlag

"Es ist dem Staat nicht gelungen"

Fünf Jahre nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz ist die Aufarbeitung aus Sicht des Weißen Rings längst nicht abgeschlossen. Stimmen aus Politik und Gesellschaft rufen nach besserum Umgang mit den Opfern.

Blumen am Breitscheidplatz / © Michael Kappeler (dpa)
Blumen am Breitscheidplatz / © Michael Kappeler ( dpa )

Zum fünften Jahrestag des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz haben sich Betroffene und Politiker für Verbesserungen im Umgang mit Terroropfern ausgesprochen. Der scheidende Opferbeauftragte des Bundes, Edgar Franke (SPD), erklärte in der "Welt am Sonntag": Wenn sich ein Bürger auf dem Weg zur Arbeit verletze, müsse ihn der Staat heute bereits "mit allen geeigneten Mitteln" rehabilitieren. Es dürfe nicht sein, dass es einen solchen Automatismus bislang nicht gebe und "Terroropfer schlechter versorgt werden", sagte Franke, mittlerweile Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsministerium.

Weißer Ring kritisiert Umgang mit Betroffenen

Die Opferschutzvereinigung "Weißer Ring" kritisiert den Umgang mit den Betroffenen. "Teilweise kommen sogar jetzt erst 'neue' Opferfälle zu uns - Menschen, die die ersten Jahre nach dem Anschlag vermeintlich gut mit der Situation zurechtkamen, dann irgendwann zusammengebrochen sind und beispielsweise erwerbsunfähig wurden. Sie haben das Trauma zunächst gar nicht erkannt", sagte die Bundesgeschäftsführerin der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, Bianca Biwer, der "Heilbronner Stimme".

Kritisch sieht sie den Umgang mit den Opfern vom Breitscheidplatz. Es seien an unterschiedlicher Stelle behördliche Fehler gemacht worden. "Das fängt an bei der Zusendung der Rechnungen aus der Forensik drei Tage nach der Tat, geht weiter über die kommentarlose Zusendung teilweise blutgetränkten Eigentums von Ermordeten an ihre Angehörigen und gipfelt in der behördlichen Abwicklung der Entschädigungsanträge", sagte Biwer. "Bei der Aufklärung der Tat wurden die Opfer nicht mitgenommen, bei der Planung der Gedenkstätte wurden ihre Vorschläge und Wünsche nicht gehört. Es ist dem Staat nicht gelungen, den Menschen zu vermitteln, dass das Land mit ihnen trauert."

In den Koalitionsvereinbarungen wurden Neuerungen geplant

In der neuen Koalitionsvereinbarung ist bereits von einem besseren Umgang mit Terrorbetroffenen die Rede. Unter anderem ist vorgesehen, den 11. März zum "nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt" zu erklären. Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) lobte das Vorhaben: "Es ist keine kleine Sache, einen Tag der Trauer für Terroropfer einzuführen." Die Stunden und Tage nach Terroranschlägen "gehörten zu den bedrückendsten als Minister". Er habe sich oft gefragt, warum die Gesellschaft für Terrorbetroffene nicht mehr Anteilnahme zeige - dies gelte besonders für den IS-Anschlag in Istanbul 2016, bei dem zwölf Deutsche starben: "Bei den Toten von Istanbul ist das Vergessen ganz offensichtlich. Das ist bedrückend", sagte de Maiziere der "Welt am Sonntag".

Betroffene verschiedener Terrorangriffe sprachen sich in der Zeitung dafür aus, neben einem Gedenktag auch einen zentralen Gedenkort für Anschläge im In- und Ausland einzurichten. "Ein Ort des Gedenkens für alle Opfer, das wäre wunderbar", sagte die Berlinerin Nora Zapf, deren Großmutter in Istanbul ums Leben gekommen war. Sie wolle sich nicht damit abfinden, sich wie ein "Opfer zweiter Klasse" zu fühlen.

Am Gedenkort auf dem Breitscheidplatz wiederum gibt es demnach regelmäßig Beschädigungen. So würden etwa aufgestellte Fotos der Opfer entwendet. "Leider wird der Gedenkort so, wie er jetzt ist, oft übersehen. Es kommt auch regelmäßig zu Vandalismus", sagte Kevin Möschle, selbst Betroffener des Anschlags von 2016.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte: "Als neue Bundesregierung werden wir nach Kräften alles dafür tun, um Opfer und Hinterbliebene von terroristischen Anschlägen bestmöglich zu unterstützen." Er unterstütze die Idee, den 11. März zum nationalen Gedenktag für Terroropfer zu erklären, so der FDP-Politiker.

Gedenkveranstaltung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält am Sonntag eine Ansprache bei einer Gedenkveranstaltung am fünften Jahrestag des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz. Ort der Rede ist die Gedächtniskirche, auch werden Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erwartet. Am Mahnmal vor der Kirche ist ein stilles Gedenken geplant. Die Namen der 13 Toten werden vorgelesen; um 20.02 Uhr, der Uhrzeit des Anschlags, soll die Kirchenglocke dreizehnmal schlagen.

Der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri aus Tunesien hatte am 19. Dezember 2016 in Berlin einen polnischen Lastwagenfahrer erschossen. Mit dessen Fahrzeug raste er anschließend über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Dem Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gelang die Flucht nach Italien, wo er bei einer Kontrolle von der Polizei erschossen wurde.

DOMRADIO.DE überträgt die Andacht zum Gedenken an die Opfer des Anschlags am Breidscheidplatz am Sonntag um 18.45 Uhr live im Web-TV. 


Quelle:
KNA