Neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vor 60 Jahren eingeweiht

"Lippenstift mit Puderdose"

Die bekannteste Kirche Berlins auf dem Breitscheidplatz in Charlottenburg wird jährlich von mehr als einer Millionen Menschen besucht. Dabei war das Ensemble aus Turmruine und achteckigem Neubau nicht immer unumstritten.

Autor/in:
Gregor Krumpholz und Nina Schmedding
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / © Alexey Fedorenko (shutterstock)
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / © Alexey Fedorenko ( shutterstock )

Wabenförmige Betonplatten, leuchtend-blaue Glasfenster, das Ganze im Achteck gebaut - und daneben eine Turmruine, die schwarz gezackt in den Himmel ragt. Zu Mauerzeiten war die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche unweit des Ku'damms das Symbol von West-Berlin.

Auch heute gehört das evangelische Gotteshaus zu den Wahrzeichen der Bundeshauptstadt. Verstorbene Prominente wie Schauspieler Harald Juhnke wurden hier verabschiedet, staatliche Gedenkfeiern abgehalten. Am 17. Dezember vor 60 Jahren wurde der kubische Nachkriegsbau eingeweiht, der zusammen mit der neoromanischen Turmruine seither ein unverwechselbares Ensemble bildet.

Die kantigen Bauformen kontrastieren stark mit dem rußgeschwärzten Relikt aus wilhelminischer Zeit. "Lippenstift mit Puderdose" nennen die Berliner das achteckige Kirchenschiff und den neuen Glockenturm schnoddrig-liebevoll. Die von den Neubauten eingerahmte Turmruine trägt den Spitznamen "Hohler Zahn" - und gilt als weltbekanntes Mahnmal gegen den Krieg.

Symbol für ein friedliches Miteinander aller Menschen

"Die Kirche ist für mich tatsächlich ein Symbol für Frieden und Versöhnung", sagt Gedächtniskirchen-Pfarrer Martin Germer. "Das sagt sich leicht, aber wenn es darauf ankommt, ist es bitterschwer." Besonders durch den Terror-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Fuße der Kirche vor fünf Jahren sei ihm das bewusst geworden.

"Was damit beabsichtigt war - die Spaltung der Gesellschaft - ist nicht erreicht worden. Sondern im Gegenteil", sagt er. Der Ort sei "ein Gegenakzent gegen alles, was Menschen in Schubladen einteilt. Ein Symbol für ein friedliches Miteinander aller Menschen."

Dass die Kirche ein Mahnmal wurde, war nicht von Anfang an geplant. Der ursprüngliche Entwurf von Architekt Egon Eiermann (1904-1970) sah den Totalabriss der Ruine vor. Das alte Gotteshaus, ein Prunkbau aus der Zeit von Kaiser Wilhelm II., war seit der Bombennacht vom 23. November 1943 weitgehend zerstört.

Umgang mit Kriegsruinen der alten Kirche umstritten

Dass sich der Erhalt der Turmruine schließlich doch durchgesetzt hat, sei "möglicherweise der Berliner Sentimentalität geschuldet", sagt Germer. Denn die Debatte der 1950er Jahre um den Umgang mit den Kriegsruinen der alten Hohenzollernkirche hätte kaum strittiger sein können.

Begründet wurden die Abrisspläne mit der Geschichte des Gotteshauses. Der monumentale Kirchbau sollte eine verherrlichende Darstellung des Hauses Hohenzollern sein. Die Einweihung der Gedächtniskirche fand 1895 denn auch am Vorabend des Sedantages statt, der an den entscheidenden Sieg im Deutsch-Französischen Krieg erinnerte. Wenige Jahre nach dem Ende des von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges schien eine Wiederauferstehung dieser Machtäußerung des ehemaligen preußisch-deutschen Kaisergeschlechts inakzeptabel.

Neubau schaffte Umdeutung des Kirchenbaus

Dass die einst umstrittene Kirche am Ende dennoch zu einem Wahrzeichen West-Berlins wurde, ist dem Architekten Eiermann zu verdanken. Sein Bau schaffte eindrucksvoll eine Umdeutung des Kirchbaus. So entstanden ein neues, achteckiges Kirchenschiff mit angebautem rechteckigen Foyer sowie ein sechseckiger neuer Turm und eine ebenfalls rechteckige Kapelle.

Architektonischer Mittelpunkt ist der verbliebene, freistehende Turmstumpf. Die erhaltene ehemalige Eingangshalle lässt erahnen, wie prachtvoll der Gesamtbau einst ausgestattet war: An den Decken befinden sich noch opulente Mosaike mit der Darstellung der Hohenzollerngeschichte.

Deutsch-französisches Gemeinschaftswerk nach dem Krieg

Herzstück des Eiermann-Entwurfs ist das neue Kirchenschiff, das doppelwandig gebaut ist. Zwischen der Außen- und Innenwand liegt ein 2,7 Meter breiter Raum, der den Straßenlärm verstummen lässt. Die Fenster lassen bei Sonnenschein den Innenraum in einem satten Blau erscheinen; nachts dagegen leuchtet die Kirche in derselben Farbe nach außen.

Insgesamt 21.292 farbige Gläser - gestaltet durch den französischen Künstler Gabriel Loire (1904-1996) - wurden in die Wände des Kirchenraums und des neuen Turms eingefügt. Damit sei der neue Kirchbau - im Gegensatz zum alten - keine Siegesbekundung, sondern Symbol der Versöhnung zweier ehemals feindlichen Nationen. "Ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk", sagt Pfarrer Germer.


Innenraum der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / © Gordon Welters (KNA)
Innenraum der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / © Gordon Welters ( KNA )
Quelle:
KNA
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