Erzbischof Koch blickt auf 30 Jahre Renovabis

"Die Grenze ist noch da"

Am 3. März 1993 wurde das katholische Hilfswerk Renovabis gegründet. Bis heute versteht es sich als Vermittler zwischen Ost und West. "Renovabis-Bischof" Heiner Koch sieht einen verbesserten Austausch und zunehmende Herausforderungen.

Erzbischof Heiner Koch / © Dominik Wolf (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Dominik Wolf ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Osteuropa-Hilfswerk wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gegründet. Das ist über 30 Jahre her. Wofür wird es heute noch gebraucht?

Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Aktionsratsvorsitzender des katholischen Mittel- und Osteuropahilfswerkes Renovabis): Renovabis ist zunächst eine Kommunikationsgemeinschaft bzw. eine Aktionsgemeinschaft, die sich bemüht, den Zusammenhalt zwischen der Kirche und den Menschen und Völkern in Ost- und Westeuropa herzustellen und zu intensivieren. Wir haben damals vor 30 Jahren gemerkt, wie fremd sich viele geworden waren in den Jahren der Trennung und wie bereichernd es ist, miteinander in Kommunikation zu treten.

Natürlich ist es ein zweites Anliegen, dort Hilfe zu leisten, wo es notwendig ist. Denn es gibt nach wie vor viele arme Länder in Osteuropa.

Und drittens wollen wir miteinander lernen. Es ist ganz wichtig, dass wir die Lernerfahrung im Osten und im Westen zusammenbringen, gerade auch in den kirchlichen Streitfragen, die es derzeit gibt und erst recht in den Friedensdiskussionen, wie wir sie derzeit leider vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine führen müssen.

DOMRADIO.DE: Wie hat sich denn die Arbeit von Renovabis in den letzten 30 Jahren verändert, gerade auch jetzt durch den Krieg?

Koch: Sie ist sehr viel kommunikativer geworden, weil wir Kontakte aufgebaut haben. Wir veranstalten zum Beispiel jedes Jahr eine große, einwöchige Konferenz, bei der wir uns austauschen. Viele kennen sich da inzwischen, das Vertrauen ist gewachsen. Auch die gegenseitigen Besuche sind häufiger geworden. Ich bin zum Beispiel auch schon mehrere Male in der Ukraine gewesen.

Natürlich sind auch die Herausforderungen stärker gewachsen. Niemand hätte vor 30 Jahren geglaubt, dass wir mitten in Europa wieder einen Krieg haben würden. Ich sehe weiterhin eine Entwicklung darin, dass Europa lernen muss, dass es nicht nur Westeuropa gibt.

Die Grenze zum Osten, die auch in der Nähe meines Bistums vorbeigeht, ist tatsächlich noch da. Nicht physisch, Gott sei Dank, aber in den Köpfen der Menschen. Diese zu überwinden, ist uns auch ein großes Anliegen.

DOMRADIO.DE: Viele Christen in Mittel- und Osteuropa leben in einer Diaspora-Situation. Sie als Erzbischof von Berlin kennen das auch. Was kann der Westen von den Katholiken in der Diaspora lernen?

Koch: Es sind vor allem auch Länder, in denen es Christenverfolgung gab und in denen Christen benachteiligt wurden. Wir können von diesen Menschen lernen, was es heißt, selbstbewusst Christ zu sein und warum man sich entscheidet, Christ zu sein in einer Gesellschaft, die das nicht unterstützt.

Zur gleichen Zeit kann man aber auch lernen, wie man unter diesen Bedingungen nicht in die Isolation geht, sondern kleine Gemeinschaften aufbaut. Das war immer die Gefahr nach dem nach dem Fall der Mauer.

Es sind gemeinsame Lernprozesse. Wir bringen inzwischen auch unsere Erfahrungen im Westen ein, denn die Säkularisierung hat beide Teile Europas erfasst.

DOMRADIO.DE: Das Motto der diesjährigen Pfingstaktion von Renovabis lautet: "Sie fehlen. Immer. Irgendwo." Thema ist Arbeitsmigration. Warum haben Sie diesen Fokus gewählt? 

Koch: Weil es ein Thema ist, das Ost und West betrifft. Viele aus dem Osten gehen in den Westen, um qualifizierte Arbeit zu finden, worüber wir dankbar sind. Denken Sie nur an den Pflegebereich und das medizinische Personal, das zu uns kommt.

Bei meinen Besuchen in Rumänien zum Beispiel habe ich aber auch gesehen, dass die Menschen dort darüber gar nicht glücklich sind. Sie verlieren kompetente Fachkräfte, die den Aufbau des Landes fördern könnten. Es reißt Familien auseinander, es reißt Tradition auseinander, es bringt Fremdheit in das Leben der Menschen. Das ist mehr als eine wirtschaftliche Frage.

Und zur gleichen Zeit ist es eine Bereicherung für das gemeinsame Arbeiten, Forschen und Leben. Es ist ein sehr differenziertes Thema, das vielen unter den Nägeln brennt.

DOMRADIO.DE: Renovabis feiert sein 30jähriges Bestehen. Was wünschen Sie dem Hilfswerk zum Geburtstag?

Koch: Ich wünsche ihm zum einen, dass es in der Beziehungspflege, gerade in diesen schwierigen Zeiten, ganz aktiv bleibt. Und weil es auch eine Glaubensgemeinschaft ist, hoffe ich sehr, dass der Glaube auch immer wieder thematisiert wird und wir immer wieder voneinander lernen.

Und ich hoffe, dass Renovabis weiterhin Bewusstsein dafür schaffen kann, dass wir eine Kirche sind, dass wir voneinander lernen können, auch in den Diözesen im Westen. Manchmal ist es doch noch sehr fremd für sie, was im Osten läuft. Da hat Renovabis auch eine große Aufgabe nach innen.

Natürlich wünsche ich dem Hilfswerk, dass über allem Gottes Segen steht.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
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Quelle:
DR