Erstes Urteil im Rote-Khmer-Prozess

Fragen von Gerechtigkeit und Versöhnung

Das internationale Völkermord-Tribunal in Kambodscha hat den früheren Folterchef der Roten Khmer, Kaing Khek Iev alias "Duch", zu 30 Jahren Haft verurteilt. Die Richter sprachen den 67-Jährigen am Montag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Mordes und Folter schuldig.

Autor/in:
Michael Lenz
 (DR)

Die Worte der Urteilsverkündung im ersten Fall vor dem Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha sind kaum in den Hallen des Gerichts vor den Toren von Phnom Penh verhallt, da machen sich internationale Rechtsexperten, Opfer der Terrorherrschaft und Menschenrechtsaktivisten an die Analyse des Richterspruchs. Das Urteil ist ebenso historisch wie komplex - in der Einschätzung gehen die Meinungen an diesem Montagabend in Phnom Penhs Edelhotel "Cambodiana" jedenfalls auseinander.

Die ausländischen Experten sehen in dem Richterspruch den Beweis, dass das Tribunal in der Lage ist, nach internationalen Standards Recht zu sprechen. Für die Kambodschaner hingegen hat das Tribunal versagt. Die Opfer der Roten Khmer wollen ihre Peiniger möglichst hart bestraft sehen. Da erscheinen die 35 Jahre Haft, zu der der ehemalige Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng, Kang Kek Eav, genannt Duch, am Montag verurteilt wurde, zu milde. Noch unverständlicher sind den Opfern die insgesamt 16 Jahre Strafermäßigung - für die "bedingte Kooperationsbereitschaft" des Anklagten mit dem Gericht, seine "begrenzte Reue" und seine bereits abgesessenen elf Jahre Haft in einem kambodschanischen Militärgefängnis.

"Nur" 19 Jahre
Bei den Betroffenen kommt an: Duch muss "nur" 19 Jahre ins Gefängnis und erfährt ihrer Meinung nach eine Fairness, die den Opfern der Roten Khmer nicht im Entferntesten vergönnt war. So fällt es ihnen schwer zu verstehen, warum zum Beispiel William Smith, internationaler Ko-Staatsanwalt des Tribunals, zwar sagt, er sei mit dem Strafmaß von 35 Jahren auch nicht zufrieden, zugleich aber betont: "Die Opfer haben Respekt und Anerkennung in einem Gerichtshof gefunden, in dem beide Seiten ihre Argumente vorgetragen haben. Die Argumente und Beweise wurden von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gewissenhaft geprüft. Das ist hier in Kambodscha zum ersten Mal passiert."

Dem stimmt im Grundsatz auch Thun Saray zu. Der Präsident der kambodschanischen Menschenrechtsorganisation ADHOC betont: "Es geht um Gerechtigkeit und nicht um Rache." Trotzdem wirft Thun Saray dem Gericht "Versagen" vor, weil es im Urteil gegen Duch nicht den kambodschanischen Staat aufgefordert habe, für "eine kollektive und moralische Wiedergutmachung für die Opfer" zu sorgen. Konkret hatten die Anwälte der Opfer eine Gedenktafel in Tuol Sleng mit den Namen aller Opfer gefordert. Das Gericht hat in seinem Urteil aber lediglich erklärt, als Wiedergutmachung die Namen der Nebenkläger und ihrer ermordeten Angehörigen zu nennen. Diese Liste umfasst 300 Namen - in Tuol Sleng kamen aber 14.000 Menschen ums Leben.

In einem Punkt jedoch sind sich die Analysten einig. Sie alle weisen die Aussage Duchs zurück, er habe nur zum Schutz seines eigenen Lebens und das seiner Familie strikt Befehle "von oben" erfüllt. Die Richter legten dagegen ausführlich dar, dass er freiwillig Teil des Systems der Roten Khmer gewesen sei und einen gewissen eigenen Entscheidungsspielraum gehabt habe.

Bei Opfern überwiegt die Kritik
Trotzdem: Bei Opfern der Roten Khmer überwiegt die Kritik. Theary Seng, Sprecherin einer Opfervereinigung, nannte den Richterspruch "nicht akzeptabel". Duch sei erst 68 Jahre alt. Es sei gut möglich, "dass er eines Tages frei sein wird. Für uns ist es aber nicht hinnehmbar, dass jemand, der für mehr als 14.000 Tote verantwortlich ist, auch nur eine Minute in Freiheit verbringt".

Wolfgang Möllers, Landesdirektor des Deutschen Entwicklungsdienstes in Kambodscha, sieht die Unzufriedenheit der Kambodschaner mit Sorge. Dadurch sei ein Ziel des Tribunals schwerer zu erreichen geworden: der gesellschaftlichen Versöhnungsprozess in einem Land, in dem Täter und Opfer auch 30 Jahre nach Ende der Herrschaft der Roten Khmer (1975 bis 1979) miteinander leben müssen.

Die Richter wollen den Versöhnungsprozess durch das Verteilen von 17.000 gedruckten Exemplaren des Urteils an Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen befördern. Es bleibt aber fraglich, ob die Kambodschaner die gedruckte Juristensprache besser verstehen als die gesprochene.