Mediziner stellen rechtliche Regelungen für Suizidbeihilfe vor

"Entscheidung zum Suizid muss ohne Zwang fallen"

Selten hat ein Urteil des Bundesverfassungsgericht für so viel Verblüffung gesorgt. Aus dem Grundgesetz leiteten die Richter ein sehr weitreichendes Recht auf Suizidbeihilfe ab. Wieviel Schutz braucht ein Sterbewilliger? 

Autor/in:
Von Christoph Arens
Liebevolle Begleitung im Alter - bis zum Tod / © sezer66 (shutterstock)
Liebevolle Begleitung im Alter - bis zum Tod / © sezer66 ( shutterstock )

Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Suizidbeihilfe war für viele ein Schock: Ende Februar kassierten die Richter ein 2015 vom Bundestag beschlossenes Gesetz, das Sterbehilfevereinen das Handwerk legen sollte. Aus Sicht des Gerichts leitet sich aus dem Grundgesetz ein sehr weitgehendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben und Beihilfe zum Suizid ab. 

Rechtliches Vakuum bei Suizidbeihilfe

Die Folge: ein rechtliches Vakuum. Derzeit geht bei der Suizidbeihilfe fast alles. Schon hat der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete "Verein Sterbehilfe" mitgeteilt, er habe erstmals bei einem Bewohner eines deutschen Altenheims Suizidhilfe geleistet. Der Verein forderte alle Alten- und Pflegeheime in Deutschland auf, in ihren Hausordnungen "das Grundrecht auf Suizid und das Grundrecht auf Suizidhilfe" zu verankern. 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt sich besorgt. Zum Schutz der Selbstbestimmung "gehören nach meinem Verständnis auch Lebensschutz beziehungsweise Fürsorge", so der Minister. Menschen mit eingeschränkter Selbstbestimmung müssten "vor sich selbst (und einem irreversiblen Schritt wie dem Suizid)" geschützt werden. 

Schweizer Modell nicht empfehlenswert

Doch wieviel Schutz ist angesichts des von Karlsruhe äußerst weitgehend ausgelegten Selbstbestimmungsrechts der Sterbewilligen überhaupt möglich? Am 22. Juni legten vier Medizinrechtler in München einen Vorschlag für eine gesetzliche Neuregelung vor. Mitautor und Palliativmediziner Gian Domenico Borasio lehrt an der Universität Lausanne und kennt deshalb die in der Schweiz geltende liberale Regelung zur Suizidbeihilfe genau. "In der Schweiz wird die Hilfe zur Selbsttötung von Sterbehilfe-Organisationen durchgeführt", sagte er 2019 dem Deutschlandfunk. "Ein Modell, das ich nicht empfehle, weil die Schweiz kein Gesetz hat, das die Suizidhilfe regelt, und damit kontrollieren sich diese Organisationen quasi selbst, was keine gute Idee ist." 

Verantwortung allein bei Ärzten

Für Deutschland schlagen Borasio und seine Mitautoren dagegen die Anlehnung an ein Modell vor, das im US-Bundesstaat Oregon seit 1997 angewandt wird - mit guten Erfahrungen, so der Mediziner. Ziel des Gesetzentwurfs sei es, den vom Verfassungsgericht vorgegebenen Freiraum für selbstbestimmtes Sterben abzusichern und zugleich Suizide zu verhindern, die nicht auf freier und informierter Entscheidung beruhen, so Borasio. Sterbehilfevereine sollen weiter ausgeschlossen bleiben. Den Ärzten schreiben die Autoren eine maßgebliche Rolle zu. 

Ärzte seien dazu ausgebildet, die Freiverantwortlichkeit von Behandlungswünschen zu überprüfen, über medizinische Alternativen zu informieren und auch das Rezept für ein tödlich wirkendes Mittel auszustellen, erläuterte Borasio. Sie könnten überprüfen, dass der Suizidwunsch nicht auf äußeren Druck oder durch akute psychische Krisen ausgelöst werde. Vorgesehen haben die Autoren deshalb konkrete Schutzbestimmungen in Strafrecht und Berufsordnung: So müsse jeweils ein zweiter Arzt hinzugezogen werden. Zwischen der Beratung und der Verschreibung des tödlichen Medikaments soll eine Frist von mindestens zehn Tagen liegen, so zählte es der Mitautor und Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz auf. Kein Arzt dürfe gezwungen werden, Suizidbeihilfe zu leisten. Auch sollten Vergütungsregelungen und Dokumentationspflichten festgelegt werden. 

Selbstbestimmungsrecht nicht einschränken

Doch wären diese Normen mit dem Karlsruher Urteil vereinbar? Eugen Brysch hat da große Zweifel. "Warum sollen nur Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten dürfen", fragt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Auch ärztliche Zweitmeinung oder die 10-Tage-Frist seien im Licht des Karlsruher Urteils eine schwere Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts. 

Brysch hatte am 19. Juni selbst einen Regelungsvorschlag vorgelegt, der das Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen schützen soll. Deshalb soll sich der - nicht näher spezifizierte - Suizidhelfer vergewissern und schriftlich niederlegen, dass der Sterbewillige gut informiert, bei klarem Verstand und ohne Zwang entscheide.


Quelle:
KNA