EKD-Vorsitzende fordert Einheit in Vielfalt

"Kein fauler Kompromiss"

Die Kirchen in Deutschland stecken im Moment in Krisen, die sie unterschiedlich treffen. Annette Kurschus fordert daher, dass sie bei wichtigen Fragen Seite an Seite stehen. Die Einheit der Kirchen ist für sie keine Unmöglichkeit.

Annette Kurschus / © Sina Schuldt (dpa)
Annette Kurschus / © Sina Schuldt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen die Reformation ganz persönlich?

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik. Wichtigste Leitungsgremien sind die EKD-Synode mit ihren Mitgliedern, die Kirchenkonferenz mit Vertretern der Landeskirchen sowie der aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehende Rat. Sitz des EKD-Kirchenamtes ist Hannover.

Synode der EKD / © Norbert Neetz (epd)
Synode der EKD / © Norbert Neetz ( epd )

Annette Kurschus (Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD): Reformation hat für mich unmittelbar damit zu tun, dass Umkehr möglich ist und Veränderung, und zwar in jeder Situation. Das war es ja, was Martin Luther damals bewirkt hat: dass es einen großen Umbruch nicht nur in der Kirche gab, sondern einen Umbruch, der in die ganze Gesellschaft hinein ausstrahlte.

Und zwar dadurch, dass Menschen zu mündigen Menschen wurden, dass sie selbst in der Lage waren, sich eine Meinung zu bilden. Und dass sie sich auf die Ursprünge ihres Glaubens besinnen konnten, also auf die Schrift, auf Christus, auf den Glauben, und dass sie gerade durch diese Rückbesinnung in der Lage waren, ganz neue Wege einzuschlagen. Und was bräuchten unsere Kirche und unsere Gesellschaft gerade nötiger als das?

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus strebt die Einheit aller Christen an. Wenn man bedenkt, wie schwierig die Gespräche mit den Orthodoxen sind, wäre die Wiedervereinigung von katholischer und evangelischer Kirche ein vergleichsweise kleiner Schritt. Denken Sie persönlich manchmal darüber nach, wie es wäre, wieder vereint zu sein?

Kurschus: Ja, die Einheit ist ja kein päpstlicher Sonderwunsch, sondern im Grunde etwas, das uns vorgegeben ist durch Christus selbst, der eine Kirche berufen hat. In diesem Rahmen bewegen wir uns in aller Unterschiedlichkeit ja auch mit dem, was zurzeit trennend ist.

Einheit darf aus meiner Sicht kein fauler Kompromiss sein, der das Unterscheidende verschweigt oder kleinredet. Aber das Trennende darf auch nicht zu einer Mauer werden, die verhindert, dass wir uns miteinander bewegen oder dass wir immer im Gespräch bleiben.

Annette Kurschus, EKD-Ratsvorsitzende

"Das Trennende darf nicht zu einer Mauer werden"

DOMRADIO.DE: Wer sich nicht ständig mit der Thematik befasst, sieht vielleicht gar nicht die großen Unterschiede zwischen den Kirchen. Wir wissen aber, dass die Mitgliedszahlen schrumpfen. Lässt sich die Trennung denn Ihrer Meinung nach überhaupt noch lange rechtfertigen?

Kurschus: Manches, was jetzt krisenhaft in Kirche zu sehen ist, betrifft beide Kirchen, keine Frage. Die Krisen treffen uns unterschiedlich. Wir haben mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen und zu tun. Was die Welt jetzt von uns braucht, ist, dass wir auf die Krisen der großen Welt gemeinsam reagieren, dass wir gemeinsam handeln und auch unser gemeinsames Zeugnis der Hoffnung, die in uns ist, ablegen.

Wir sind in manchen Fragen ja durchaus gemeinsam unterwegs, was geflüchtete Menschen angeht, was den Klimawandel angeht, was die Fragen der Armut angeht. Da darf es gar keine Rolle spielen, dass wir zwei unterschiedliche Kirchen sind, sondern da muss die Gesellschaft uns Seite an Seite erleben.

DOMRADIO.DE: In der Ökumene nutzen wir  gemeinsame kirchliche Strukturen, dort kann man sich auch einander inhaltlich annähern. Laut der katholischen Theologin Dorothea Sattler gibt es da gerade einen Stillstand. Teilen Sie die Einschätzung?

Kurschus: Ich habe dieses Wort selber mal gebraucht, das aber nicht so gemeint, dass der Stillstand jetzt zementiert ist. Ich habe dieses Wort so verstanden, dass wir gerade jeweils sehr mit uns selber beschäftigt sind. Wir müssen in unseren eigenen Kirchen viel klären. Und dadurch ist die Bewegung aufeinander zu im Moment nicht so im Vordergrund. Das ist aber kein kein Zustand, der so bleiben darf, weil die Welt uns gemeinsam braucht und weil die Krisen zu groß sind, als dass wir uns jetzt in unserem "Kirchesein" mit dogmatischen Fragen lähmen dürften.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie irgendwo den Zeitpunkt, an dem der Sonntagsgottesdienst einfach ein christlicher Gottesdienst wird? Mit beidseitigen Kompromissen natürlich.

Kurschus: Den einen christlichen Gottesdienst gibt es so wenig, wie es den einen evangelischen oder den einen katholischen Gottesdienst gibt. Es gibt immer Vielfalt, und die ist bereichernd. Wenn wir Gottesdienste feiern, in denen deutlich wird, dass wir gemeinsam Christus für den Weg im Leben halten, dann wird da viel deutlich. Es gibt ja schon gemeinsame Gottesdienste in der Gebetswoche für die Einheit der Christen, am Weltgebetstag der Frauen. Da werden christliche Gottesdienste in aller Vielfalt gefeiert.

Das Interview führte Michelle Olion.

Quelle:
DR
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