DOMRADIO.DE: Mit welchen Gefühlen sind Sie aus dem Heiligen Land zurückgekehrt? Als wie angespannt haben Sie Lage insgesamt wahrgenommen?
Frank Kopania (Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)): Die Anspannung ist verständlicherweise sehr groß. Es gibt Leid auf allen Seiten und die Reaktionen darauf sind mannigfaltig. Manche versuchen, den Alltag trotz des Krieges zu leben und konzentrieren sich darauf, Tag für Tag ihre Lebensumwelt zu gestalten.
Andere haben dazu keine Möglichkeiten, weil sie direkt betroffen sind. Besonders beeindruckend waren für mich Gespräche mit Menschen, die trotz dieser enormen Belastung und vieler Rückschläge weiter nach Wegen aus Krieg und Konflikt und auch Wege zueinander suchen.
DOMRADIO.DE: Sie haben Vertreter beider Seiten, also Israelis und Palästinenser, getroffen und versucht, beide Perspektiven nachzuvollziehen. So waren Sie zum Beispiel an der Gedenkstätte für die Opfer des Nova-Festivals vom 7. Oktober 2023. Wie haben Sie die Situation dort erlebt?
Kopania: Das war ein zutiefst bewegender Moment, auch für mich, der ich schon seit einigen Jahrzehnten in pastoraler Arbeit tätig bin und professionell Krisensituationen begleite. Wir standen an diesem Ort zwischen Bildern all dieser meist noch sehr jungen Menschen, zwischen all den Gedenktafeln, den Stickern und anderen Gegenständen, die Angehörige hier angebracht haben.
Es war bedrückend zu wissen, wie viele Menschen hier getötet wurden – über 360 – und wie viele entführt wurden; wie viele hier Schlimmes erlebt haben und teils noch erleben. Wer dort steht, hört laute Technomusik, die an diesem Ort einen Kontrast verdeutlicht: Einerseits soll das Fest des Lebens weitergehen.
Andererseits hat der Terror der Hamas genau dieses Fest des Lebens in Tod und Zerstörung verwandelt. Auch im Kibbuz Be’eri haben wir eindrücklich die Spuren von Gewalt gesehen, die Spuren von Beschuss und Brand. Wenn man diese Orte besucht, spricht das für sich.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite wollten Sie ins christliche Dorf Taybeh im Westjordanland fahren, das erst vor kurzem von israelischen Siedlern angegriffen wurde. Am Ende hat ein Brand auf der Strecke diesen Besuch verhindert. Was haben Sie dennoch über die Situation der Palästinenser im Westjordanland erfahren?
Kopania: Erst Anfang Juli haben sich ja leitende Geistliche aus Taybeh an die Öffentlichkeit gewandt. Sie berichten von wiederkehrenden Angriffen militanter Siedler. Sie schildern, dass um das Dorf herum illegale sogenannte Outposts, also Außenposten von Siedlungen gebaut wurden.
Siedler bewegen sich auch durch das Dorf, weiden ihre Kühe auf palästinensischem Land, beschädigen Olivenbäume – das ist natürlich die Lebensgrundlage der Menschen dort – und haben wohl auch wiederholt Feuer gelegt. Das alles berichten uns die geistlichen Leitenden.
Ende Juli hat Bischof Azar aus unserer Partnerkirche dann von einem Angriff von Siedlern mit selbst gemachten Sprengsätzen auf ein Wohnhaus berichtet. In diesem Wohnhaus befand sich eine Familie, die aus dem brennenden Haus fliehen musste. Das Auto des Vaters, eines Fotografen, wurde mit seinem kompletten Fotoequipment verbrannt. Von solchen Übergriffen hören wir immer wieder.
Die Menschen dort sollen wissen, dass sie nicht vergessen sind. Es ist sehr schade, dass wir am Ende nicht nach Taybeh fahren konnten. Aber unser Propst in Jerusalem wird den Besuch hoffentlich nächste Woche nachholen können, um unsere Solidarität zu zeigen.
DOMRADIO.DE: Sie haben eine ganze Reihe christlicher Autoritäten getroffen. Wie steht es aktuell um christliches Leben im Heiligen Land bestellt?
Kopania: Die Lebensrealitäten sind sehr unterschiedlich. Christen in Gaza, Christen im Westjordanland und Christen in Israel erleben Verschiedenes. Christen aus dem Westjordanland können zum Beispiel wegen der geschlossenen Grenzen auch zu heiligen Festen wie Ostern nicht nach Jerusalem reisen, denn alle Permits, also Passierscheine für Palästinenser, wurden nach dem 7. Oktober aufgehoben.
Deswegen sind viele auch schon seit langem arbeitslos, weil sie in Israel gearbeitet haben und das nun nicht mehr können. In Israel gibt es zum Beispiel in Ostjerusalem Berichte von Verdrängung und von Angriffen auf Christen. Ich konnte mich mit dem Abt der Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel austauschen, und er hat eindrücklich von seinen persönlichen Erfahrungen berichtet.
Christliches Leben in Gaza ist noch einmal ein ganz anderes Thema als die schrecklichen Bedingungen, unter denen Zivilisten in Gaza leben – Hunger, Vertreibung, Beschuss. Jede dieser Realitäten stellt für sich genommen eine enorme Herausforderung dar; sie alle brauchen unsere Aufmerksamkeit.
DOMRADIO.DE: Angesichts der Gaza-Politik der israelischen Regierung ringt die Bundesregierung gerade um ihren Kurs Israel gegenüber. Kanzler Merz hat mit seinem angekündigten Stopp der Waffenlieferungen für heftige Reaktionen von allen Seiten gesorgt. Sind während ihrer Reise auch konkrete Erwartungen an die Kirchen herangetragen worden?
Kopania: Ja, es gibt die klare Erwartung, dass wir da sind, dass wir zuhören, dass wir uns engagieren. Die Menschen erwarten von uns, dass wir, auch wenn wir zurück in Deutschland sind, ihre Lebensrealitäten im Heiligen Land sichtbar und öffentlich machen. Wir sollen dafür sorgen, dass die Menschen dort nicht vergessen werden und – das ist mir wichtig – nicht durch eine vereinfachte Brille betrachtet werden.
Was wir gesehen haben, ist nur ein Ausschnitt einer sehr vielschichtigen Realität. Gerade diese Vielschichtigkeit gilt es zu bewahren, wenn wir über das Heilige Land sprechen. Das ist die Rolle, die wir als Kirchen einnehmen können und die Erwartung, die an uns herangetragen wurde. Wir sollen zuhören, Brücken bauen und Räume schaffen, in denen die gesamte Geschichte ihren Platz hat und zur Sprache kommt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.