Kontinuität mit Papst Franziskus im Kern, aber nicht im Stil - auf diesen Nenner lassen sich viele Ansagen bringen, die Leo der XIV. in seinem in der vergangenen Woche größtenteils vorab veröffentlichten Interview mit der Vatikankorrespondentin Elise Allen gemacht hat.
Zugleich hat er in dem Gespräch, das nur wenig redigiert wurde, einen Einblick in seine bedächtig abwägende Art des Denkens und Sprechens gegeben. Auch das unterscheidet sich stark von den mitunter sprunghaften und impulsiven Antworten, die Leos Vorgänger Franziskus in Interviews und Pressekonferenzen gab.
Erstaunlich breit ist das Themenspektrum, das der Papst und seine 33 Jahre jüngere Interviewerin in ihrem Frage- und Antwortspiel durchstreiften. Da geht es etwa um die künftige vatikanische Chinapolitik - sie soll im wesentlichen eine Fortsetzung der pragmatischen Fernost-Politik seines Vorgängers sein. Oder um die Beurteilung der Lage im Gazastreifen - wo Leo (vorerst) nicht von einem Genozid an den Palästinensern sprechen möchte.
Papst aus den USA macht einen Unterschied
Und schließlich um mögliche Stellungnahmen zu politischen Entwicklungen in seinem Heimatland: Da will er arbeitsteilig mit den US-Bischöfen vorgehen. Also Vorgaben bei den "großen Themen" wie Menschenrechte oder Frieden machen, aber die moralische Einmischung in die tagespolitischen Debatten den Bischöfen überlassen. Und er merkt selbstbewusst an, dass es einen Unterschied macht, wenn - anders als beim Argentinier Franziskus - jetzt niemand mehr dem Papst vorwerfen kann, er verstehe ja nicht, wie Amerika tickt, wenn er einen kritischen Satz in Richtung Washington sagt.
Selbstbewusst und klar sind in dem langen Interview auch seine Ansagen beim Thema "culture war" - in dem sich "der Westen" aus Sicht des Papstes derzeit geradezu besessen zeigt von Debatten um sexuelle Neigungen, Formen des Zusammenlebens und geschlechtliche Identitäten.
Dem setzt er ein unverblümtes, beinahe altmodisch wirkendes Bekenntnis zu der aus seiner Sicht zuletzt arg gebeutelten "traditionellen Familie" aus Vater, Mutter und Kindern entgegen.
Ebenso klar ist seine Absage an rituelle Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare "in einigen nördlichen Ländern" - womit er vermutlich unter anderem Deutschland, Belgien und die Schweiz meinte. Änderungen in der Lehre der Kirche zur Sexualität und zur Ehe halte er für "höchst unwahrscheinlich - jedenfalls in der nahen Zukunft", so die Prognose des Papstes.
Pausetaste für Änderungen in der Lehre
Ein wenig zurückhaltender äußert sich Leo XIV. zu möglichen Veränderungen in der kirchlichen Lehre bezüglich eines Weiheamts zu Frauen. Eine Reform in seinem mutmaßlich noch viele Jahre andauernden Pontifikat hält er für wenig wahrscheinlich, schließt sie aber auch nicht völlig aus.
Eher vorsichtig formuliert er: "Die Studiengruppen dazu setzen die Prüfung des theologischen Hintergrunds, der Geschichte einiger dieser Fragen fort, und dann werden wir damit vorangehen und sehen, was kommt." Das klingt anders als die Ansage "Die Tür ist geschlossen" unter Papst Johannes Paul II. - aber auch nicht so inspirierend wie einige Vorstöße unter Papst Franziskus.
Viel Beachtung fanden auch die Aussagen des neuen Papstes zu den neuen innerkirchlichen Beratungs- und Mitbestimmungs-Methoden, die sein Vorgänger Franziskus unter dem Stichwort "Synodalität" zuletzt erstaunlich weit vorangetrieben hatte - bis zu dem Punkt, dass auch Laien (inklusive Frauen) mit Rede- und Stimmrecht zwei Weltbischofssynoden teilnehmen durften.
Leo XIV., der nach Auskunft von Teilnehmern selbst aktiv in diesen Synoden mitdebattierte, äußerte sich in dem Interview rundweg positiv und optimistisch zu diesem neuen "Stil" in der katholischen Weltkirche. Er zog aber auch eine Rote Linie: Man solle "nicht versuchen, die Kirche in eine Art demokratische Regierung umzuformen."
Der Grund überrascht: "Wenn wir uns viele Länder der Erde heute anschauen, ist Demokratie nicht notwendigerweise die beste Lösung für alles." Dennoch bleibe viel zu tun, um das "gemeinsam Kirche sein", das seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil signifikante Fortschritte gemacht habe, weiter voranzubringen.
Pessimistisch gegenüber KI
Dramatisch pessimistisch zeigt sich der Papst in dem Interview zu einem Thema, von dem viele Beobachter erwarten, dass er es zum Gegenstand seiner ersten Enzyklika machen könnte: Die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die Zukunft der Menschheit. Wenn die Kirche und andere Kritiker nicht ihre Stimme erhöben, bestehe "die Gefahr, dass die digitale Welt ihren eigenen Weg geht und wir nur noch die Bauern auf dem Schachbrett sind oder am Wegesrand liegen gelassen werden".
Mit Nachdruck warnte Leo, dass durch KI auch der Wert der menschlichen Arbeit und damit der Respekt für die Menschen überhaupt auf dem Spiel stehe. Weiter sagte er: "Die Kirche ist keineswegs gegen den technologischen Fortschritt, aber wenn wir die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Wissenschaft und Glauben verlieren, wird die Wissenschaft als eine leere, kalte Hülle übrig bleiben und dem, was die Menschheit ist, großen Schaden zufügen."
Zugleich betonte er, dass KI in der Medizin und auf anderen Gebieten große Fortschritte gebrachte habe. Dennoch bestehe die Gefahr, dass am Ende eine künstliche Welt geschaffen werde und die Wahrheit verloren gehe. Das zeige sich auch in der Welt der falschen Nachrichten und der Verschwörungstheorien: "Da passiert gerade etwas.
Die Leute wollen Verschwörungstheorien glauben und suchen all diesen Fake-Kram - das ist sehr, sehr destruktiv."
Nuancen und Missverständnisse
An dieser und an vielen anderen Stellen des Texts wird deutlich, warum der Papst aus den USA ein Interview-Gespräch mit einer Journalistin aus seinem Heimatland gewählt hatte, um sich erstmals umfassend über seine kirchenpolitischen, außenpolitischen, aber auch lehrmäßigen Vorhaben zu äußern: Er konnte in einer streckenweise sehr amerikanischen Konversation genau die Nuancen und Pointen setzen, die er "rüberbringen" wollte.
Dennoch konnte auch Papst Leo es nicht verhindern, dass manche Passagen des Interviews Fragen offen ließen und unterschiedliche Deutungen nach sich zogen. So entspann sich in Deutschland schon wenig später eine Debatte darüber, welche Ritual-Vorschläge zur Segnung Homosexueller er genau mit seiner Kritik gemeint habe, als er formulierte, dass diese dem Sinn von "Fiducia supplicans" widersprechen.
Auch die Vorläufigkeits-Einschrän- kungen ("wenigstens nicht in nächster Zeit") mancher Aussagen wurden unterschiedlich gedeutet - und im Fall der China-Politik sogar komplett aus der chinesischen Übersetzung gestrichen, wie sprachlich bewanderte Mitarbeiter von "Vatican News" sagten.
Trotz dieser kleineren Unschärfen zeigt das lange Interview, welche Vorteile diese Form auch für Papst Leo bietet, um - wie bereits Franziskus - am eigenen Apparat vorbei "direkt" zu kommunizieren: Er vermeidet umständliche Redigier- und Ergänzungsprozesse durch Fachabteilungen und theologische Berater, wie sie bei päpstlichen Lehrschreiben unvermeidlich sind. Und weil er in mediengerechter Form zu einer Journalistin sprach, konnte er darauf bauen, dass seine Aussagen so "mundgerecht" aufbereitet würden, dass sie in Hunderten anderer Medien aufgegriffen werden würden. Das weltweite Echo auf das Interview zeigt, dass dieses Kalkül aufging.
Zugleich illustriert das große Leo-Interview die erstaunliche Reichweite und Deutungshoheit, die selbst kleinere und privat geführte US-amerikanische katholische Medien derzeit haben. Das scharf konservative Netzwerk EWTN/CNA, das gemäßigt konservative Recherche-Portal The Pillar und das nun mit dem Papstinterview in ungekannte Reichweiten-Zahlen katapultierte Portal Crux haben innerhalb der katholischen "Blase" inzwischen eine weltweite Sonderstellung.
Sie ist in diesem Bereich fast schon vergleichbar mit der internationalen Reichweite universaler amerikanischer Medien von Fox bis CNN, von der New York Times bis zum Wall Street Journal. Das gerade erst begonnene "amerikanische Pontifikat" wird diese Stellung vermutlich noch weiter festigen.