CDU-Politiker und Arzt Liese spricht sich für Impfpflicht aus

Eine moralische Pflicht

Impfpflicht, ja oder nein? Tschechien, Griechenland, Italien und Österreich machen es vor, doch in Deutschland wird noch diskutiert – bisher ohne Ergebnis. Dabei spricht aus Sicht des CDU-Politikers und Arztes Peter Liese viel dafür.

Impfpflicht ja oder nein? / © Harald Oppitz (KNA)
Impfpflicht ja oder nein? / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben sich unterschiedlich zur Impfpflicht geäußert. Zuletzt waren Sie dafür. Bringt eine Impfpflicht noch etwas für die aktuelle Omikron-Welle, die uns bevorsteht?

Dr. Peter Liese (CDU-Europapolitiker und Arzt): Zunächst einmal finde ich: Jeder von uns - und gerade Christen - haben die moralische Pflicht, sich impfen zu lassen. Erstens, weil die Impfung auch davor schützt andere anzustecken. Das gilt zwar nicht zu 100 Prozent, wie wir leider schmerzhaft lernen mussten, aber es ist trotzdem ein Schutz.

Zweitens ist es so, dass jeder, der sich nicht impfen lässt, auch wenn er noch so optimistisch ist, ein größeres Risiko hat, auf der Intensivstation oder im Krankenhaus zu landen. Damit belasten wir auch andere Menschen. Es ist nicht nur eine private Sache, sondern wir entscheiden auch über andere.

Ich habe noch niemand getroffen, der gesagt hat: Ich lasse mich nicht impfen und ich unterschreibe heute, dass ich kein Krankenhausbett brauche und dann auch darauf verzichte, falls ich eines brauche. Da ist eine moralische Pflicht.

Nachdem wir in den letzten Monaten versucht haben, die Menschen durch medizinisch gerechtfertigte Anreize für Geimpfte und durch sehr viel Information umzustimmen, das aber nicht so richtig funktioniert, glaube ich, dass diejenigen, die in Berlin jetzt ernsthaft über eine Impfpflicht nachdenken, auf dem richtigen Weg sind.

Es gibt gute Beispiele aus anderen Ländern, allen voran der Vatikan, der mit als erstes eine Impfpflicht eingeführt hat. Aber auch Österreich, wo es schon sehr weit gediehen ist, oder auch Griechenland, wo es quasi eine Verpflichtung gibt. Wer der nicht nachkommt, muss eine Gesundheitsabgabe bezahlen. Über diese Modalitäten kann man reden, aber es ist sicherlich eine Möglichkeit.

Ob das für Omikron ausreichend schnell kommt, das glaube ich nicht. Aber leider können wir nicht davon ausgehen, dass mit Omikron die Pandemie vorbei ist. Deswegen müssen wir in Hinblick auf den nächsten Winter unbedingt vermeiden, dass wir erneut in einer Situation wie jetzt sind, wo wir wieder viele Dinge einschränken müssen, wo sogar ernsthaft diskutiert werden muss, ob man Schulen schließt.

Ich bin dafür, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten, aber wenn die Krankenhäuser überfüllt sind, wird uns auch diese Entscheidung nicht erspart bleiben. Um das zu vermeiden, kann ich mir vorstellen, dass eine Impfpflicht ein wichtiges Instrument ist, um im nächsten Winter besser dazustehen.

DOMRADIO.DE: Die Schutzimpfungen wurden auf Basis der Wuhan-Variante des Corona-Virus produziert. Für die nachfolgenden Varianten sind die Impfungen nicht mehr so hoch wirksam. Brauchen wir nicht erst mal einen angepassten Impfstoff, bevor es eine Impfpflicht gibt?

Liese: Der Impfstoff, der jetzt auf dem Markt ist, schützt auch sehr gut vor Omikron. Insbesondere wenn die zweite Impfung nicht so lange her ist oder wenn man schon die dritte Impfung bekommen hat. Dann hat man einen sehr guten Schutz gegen einen schweren Verlauf und auch einen besseren Schutz vor Ansteckung.

Das ist eine Frage, die sehr technisch ist: Ab wann muss man sich danach impfen lassen? Mit welchem Impfstoff? Das ist einer der Gründe, warum ich es in dem Fall nicht so gut finde, dass das eine Entscheidung ist, wo die Bundesregierung gar keine Position hat. Denn es ist sehr technisch. Und im Zweifel muss diese Frage, wann wer mit welchem Impfstoff geimpft wird, auch alle zwei Monate neu diskutiert werden, weil sich das Virus verändert und die Erkenntnisse sich verändern. Deswegen braucht man da eine gewisse Kompetenz in der Bundesregierung, auf der dann die letzte Durchführung beruht. Das ist kein gutes Beispiel für Gruppenanträge.

Es ist ein bisschen komisch, dass die Ampelkoalition das Thema Abtreibung - was ja eindeutig eine ethische Frage ist - im Koalitionsvertrag regelt, und da gilt dann auch die Koalitionsdisziplin. Da sehe ich überhaupt keine Not. Ich bin der Meinung, dass der Paragraf 219a ein sehr guter Paragraf ist, dass man Werbung für Abtreibung verbietet. Aber da sagt man, das ist eine Regierungsentscheidung, das ziehen wir durch, da gibt es keine Gewissensentscheidung. Und bei der Frage, wo es sehr, sehr technisch ist und wo es sehr schnell gehen muss, macht man jetzt eine ethische Debatte ohne Fraktionszwang. Das passt aus meiner Sicht nicht zusammen.

DOMRADIO.DE: Österreich will die allgemeine Impfpflicht schon nächsten Monat umsetzen. Ich glaube, da gehen die Menschen vielleicht auch eher mit als bei uns, wenn, sagen wir mal, im Mai die Lage voraussichtlich wieder entspannt ist und dann bei uns eine Impfpflicht eingeführt würde. Glauben Sie, dann ließe sich bei uns eine allgemeine Impfpflicht noch durchsetzen?

Liese: Man kann nicht in die Zukunft sehen. Ich hoffe auch, dass es im Sommer sehr viel besser ist, aber wir wissen nicht, wie das pandemische Geschehen im Sommer aussieht. Und ich glaube, es kommt sehr auf das Zusammenwirken verschiedener Faktoren an.

Ich glaube, man muss noch einmal mehr informieren, auch kultursensibel. Ich habe selbst als Impfarzt gearbeitet und festgestellt, dass einige Menschen, die zur Erstimpfung kamen, nicht gesagt haben, ich war irgendwie dagegen, sondern ihr Arzt hat nicht geimpft. Es gibt Ärzte, die das aus ideologischen Gründen nicht tun, aber auch welche, die sagen: Ich habe so viel zu tun mit meiner täglichen Arbeit, ich kann nicht zusätzlich noch impfen, das sollen andere machen. Und dann haben die, weil sie kein Deutsch sprachen, keine Chance gehabt, sich anderswo impfen zu lassen. Vielleicht hat noch einer gesagt, ist ja auch nicht so schlimm. Ich kenne auch Beispiele, wo es hieß: Ich werde nicht verreisen, also brauche ich mich nicht impfen lassen. Wir müssen besser informieren.

Wenn es dann heißt, es gibt eine Pflicht zur Impfung, werden auch diese Menschen anders mit der Frage umgehen. Dann wird man, wenn man sich an der einen Stelle nicht impfen lassen kann, sehen, wo man es sonst tun kann. Und es gibt erschreckenderweise bei den Impfgegnern mittlerweile auch einen Gruppendruck. Da höre ich immer wieder Beispiele, dass Menschen, die sich gerne impfen lassen wollen, das nicht tun, weil sie Angst vor der Familie oder den Mitgliedern von freikirchlichen Gemeinden oder sonst wo haben, wo das Impfen verhasst ist.

Diesen Menschen würden wir helfen. Die würden wir schützen, wenn wir sagen: Es ist eine Pflicht. Dann hätten sie ein anderes Argument, als wenn sie freiwillig hingehen und sich damit außerhalb ihrer Gruppe stellen. Ich denke, das kommt jetzt nicht nur auf die Jahreszeit an, sondern auf das ganze Setting und alles, was man um eine wie auch immer geartete Impfpflicht herum konstruiert.

DOMRADIO.DE: Manche Virologen machen uns die Hoffnung, dass Omikron das Ende der Pandemie markiert, das Corona endemisch wird. Was halten Sie von der Theorie, dass es am Ende vielleicht ein Schnupfenvirus wird?

Liese: Es ist sehr wahrscheinlich, dass das am Ende ein Schnupfenvirus wird. Aber die Frage ist: Wann ist das Ende? Wir wissen, dass die bisher auf dem Globus vorkommenden Coronaviren alle recht harmlos sind, aber ob die das nach 100 Jahren geworden sind oder nach fünf Jahren oder nach zwei Jahren, das können wir heute nicht mehr herausfinden. Ich wünsche mir, dass Omikron die letzte Welle ist. Aber man darf Omikron nicht vernachlässigen.

Es gibt Gott sei Dank weniger Menschen, die auf Intensivstationen landen. Aber die allgemeinen Stationen sind in den USA beispielsweise extrem belastet. In New York gibt es viele Krankenhäuser, die normale Patienten nicht mehr richtig versorgen können, weil da so viele mit Omikron-Virusinfektionen liegen. Und was danach kommt, wissen wir nicht. Ich hoffe, dass keine schlimmeren Varianten kommen. Aber natürlich ist es auch möglich, dass sich Omikron mit seiner schnellen Verbreitung mit Delta mischt, was auch noch sehr schwer krank macht. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Dann kann man nicht immer sagen, die Impfpflicht nützt jetzt nichts in dieser Pandemie, in dieser Welle hilft es nicht und man bereitet sich nicht vor.

Ich glaube, das ist auch für die Menschen unheimlich wichtig, wenn Sie jetzt noch mal Restriktionen erleben müssten. Die Gastronomen, die darunter leiden, dass man nur noch mit Test und mit 2G-Regelung reinkommt - wenn man ihnen den Hinweis geben kann, wir packen das Übel an der Wurzel an und der nächste Winter wird anders aussehen, weil wir dann eine Impfpflicht haben und damit das Ganze besser in den Griff kriegen können. Es ist wichtig, Perspektiven zu geben und nicht immer zu sagen, was jetzt nicht in den nächsten zwei Wochen hilft, das machen wir nicht.

DOMRADIO.DE: Andere europäische Länder setzen bereits auf die Impfung vulnerabler Gruppen - Menschen ab 50 zum Beispiel. Italien hat das jetzt umgesetzt. Tschechien hat das für Menschen ab 60 geplant. Wäre das vielleicht eine Alternative für Deutschland, falls die allgemeine Impfpflicht nicht zustande kommt?

Liese: Ja. Definitiv ist eine Impfpflicht für Menschen ab 50 besser als gar keine. Weil das Risiko, im Krankenhaus oder auf der Intensivstation zu landen, ab 50 größer ist, ab 60 noch mal größer. Aber wir haben dann natürlich Abgrenzungsrobleme. Wir wissen, dass Menschen mit Vorerkrankungen, auch wenn sie unter 50 sind, ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Das kann sich auch noch mal ändern, je nachdem wie sich das Virus ändert.

Deswegen wäre ich schon für eine Lösung, wo die Bundesregierung vorschlägt, das und das sind die Modalitäten und wo dann auch der Bundesgesundheitsminister in der Lage ist, differenziert auf solche Dinge einzugehen. Wenn dann eine Variante kommt, die auch bei jungen Menschen sehr, sehr gefährlich ist oder die bei anderen Vorerkrankungen sehr gefährlich ist, als bei den jetzigen, dann müsste man relativ schnell diese Impfpflicht anpassen können. Das ist eben ein Grund, warum ich denke, das muss die Bundesregierung, der Bundesgesundheitsminister klar sagen, wie sie sich das vorstellen. Dann kann man sehr viel besser darüber diskutieren.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Dr. Peter Liese (MdEP) (KNA)
Dr. Peter Liese (MdEP) / ( KNA )
Quelle:
DR
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