Kirchenhistoriker rüttelt an vermeintlichen Gewissheiten

Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls

Brot und Wein sollen beim letzten Abendmahl auf dem Tisch gestanden haben. Wie sich das Abendmahl im Laufe der Geschichte entwickelt hat und warum dabei Cola eine Rolle spielt, erklärt der evangelische Theologe Anselm Schubert.

Altar mit Brot und Wein / © Harald Oppitz (KNA)
Altar mit Brot und Wein / © Harald Oppitz ( KNA )

Erfahren Sie hier mehr über die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten beim Verständnis der Eucharistie.

DOMRADIO.DE: "Gott essen – eine kulinarische Geschichte des Abendmahls". Das ist der Titel Ihres Buches. Was weiß man denn darüber, was Jesus und seine Jünger zu sich genommen haben, als sie zum letzten gemeinsamen Mahl versammelt waren?

Anselm Schubert (Professor für Neuere Kirchengeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg): Nichts Genaues, um es mal vorsichtig zu sagen. Wir haben natürlich keinen Augenzeugenbericht vom letzten Pessachmahl, dass Jesus und die Jünger in Jerusalem zu sich genommen haben sollen. Aber wir haben den Evangelienbericht. Darin ist immerhin die Rede davon, dass es mindestens ein gebratenes Pessachlamm gab und mehr als einen Kelch Wein. Zu den Pessachmahlen in der Antike gehört natürlich sehr viel mehr dazu. Was genau, wissen wir allerdings auch wiederum nicht, weil die ältesten Pessach-Ordnungen, die uns erhalten sind, aus dem Ende des 18. Jahrhunderts sind.

DOMRADIO.DE: Wie war das dann später bei den frühen Christen?

Schubert: Da entwickelt sich im Grunde die junge Gemeinde ganz entsprechend den Formen, die die religiösen Vereine in der Spätantike hatten. Das bedeutete, dass man sich als religiöse Gemeinschaft zu einem Gemeinschaftsmahl traf. Dieses Mahl war selbst die Form des Gottesdienstes. Man traf sich im Grunde zu einem Symposium, wie wir es aus den antiken paganen Quellen (Anm. d. Red.: heidnische Quellen) kennen. Zu Anfang gab es ein Brot, das gemeinsam gebrochen wurde. Dann gab es ein Sättigungsmahl, weiterhin eine Kelchspende. Anschließend begann der Teil, den wir mit dem Symposium normalerweise verbinden: das ist das gemeinsame Trinken von gemischtem Wein mit Gesprächen, Gesang und auch Gebeten.

Am Ende gab es nochmal einen letzten Kelch zum Abschluss des Symposiums. Das ist die Form, aus der sich der altchristliche Gottesdienst entwickelt hat. Allerdings war klar, dass man so etwas nur mit relativ wenigen Leuten anständig feiern kann. Die klassische Zahl liegt so zwischen sieben und 13 Personen. Als die Gemeinden im 2. und 3. Jahrhundert wuchsen, hat man den ersten Teil, das Sättigungsmahl, ausgegliedert und nur den zweiten Teil beibehalten. Aus dem zweiten Teil hat sich dann im Grunde die Eucharistie der Messe entwickelt.

DOMRADIO.DE: Aber das heißt, ganz ursprünglich war die Eucharistiefeier mal ein richtiges normales Essen?

Schubert: Sie war ein Teil eines richtig normalen Essens. Zu dem Essen brachten die Gemeindemitglieder selbst verschiedene Speisen mit, eben die, die sie von zu Hause erübrigen konnten oder gekocht hatten. Diese Speisen wurden dann gemeinsam verzehrt. Anfangs hat man von diesen Speisen auch noch Christus als dem geistlichen Symposiarchen, dem Vorsitzenden eines Symposiums, geopfert. Daher kommt die Vorstellung dieses Dankopfers. Eucharistie heißt ja nichts anderes als Dankopfer – und das war Teil dieses Symposiums.

DOMRADIO.DE: Es war also wie ein Buffet, alle haben etwas mitgebracht. Wissen Sie, was da so alles aufgetischt wurde?

Schubert: Alles, was die Leute damals erübrigen konnten. Wir müssen davon ausgehen, dass die christlichen Gemeinden zunächst nicht das waren, was wir heute so gutbürgerlich nennen würden. Die Gemeinde bestand vor allen Dingen aus armen Leuten. Sie werden die Speisen mitgebracht haben, die sie überhaupt hatten. Bei den Symposien, wie wir es in der paganen Gesellschaft (Anm. der Red.: heidnischen Gesellschaft) kennen, wo wir vor allen Dingen Quellen aus den oberen Gesellschaftsschichten haben, werden natürlich teuerste Speisen aufgefahren.

Aber im Grunde geht es nicht weniger um die Speisen, als um das gemeinsame Essen. Und daran entzündet sich ja gleich auch im ersten Korintherbrief der erste Konflikt. Die älteste Information, die wir überhaupt über das christliche Abendmahl haben, ist ein Streit um die Frage, wer was mitbringt. Dürfen die, die etwas mitgebracht haben, alleine etwas essen oder dürfen auch diejenigen etwas essen, die nichts mitgebracht haben? Insofern haben wir von vornherein die ganze Fülle des Gemeindelebens der urchristlichen Gemeinden in den Berichten des Neuen Testaments.

DOMRADIO.DE: Und sie haben schon gesagt, es ändert sich mit der zunehmenden Zahl der Gläubigen. Wenn da auf einmal 50 Leute kommen, wird es schwierig, ein Mahl zu veranstalten. Wann genau hat sich das geändert?

Schubert: Das wissen wir nicht ganz genau. Die ältesten Informationen über eine Teilung zwischen dem Sättigungsmahl und dem eigentlichen Herrenmahl, wie es dann heißt, sind schon sehr alt – sie kommen aus dem Jahr 160 bis 190. Wir befinden uns im 2. Jahrhundert und schon zu diesem Zeitpunkt sind die Gemeinden so groß, dass man es auseinander genommen hat.

Trotzdem haben wir noch Berichte bis etwa ins frühe 5. Jahrhundert, dass es immer wieder Missverständnisse gibt, diese Trennung nicht wirklich durchgehalten wird und Leute weiterhin Speisen von zuhause mitbringen. Da geht es um Fisch, Fleisch, Käse, Brot, Gemüse und Früchte.

Es war also ein sehr langer Prozess, die Menschen davon zu überzeugen, dass diese ursprüngliche Einheit vom gemeinsamen Essen der Gemeinde und heiligem Essen vor Gott auseinander genommen werden soll. Das ist eine relativ komplizierte Geschichte und wir haben auch nur lückenhaft Zeugnisse dazu, aber es ist doch erkennbar, dass die Leute sich schwer damit getan haben.

DOMRADIO.DE: Kann man sagen ab wann das Abendmahl ungefähr so begangen wurde, wie wir das kennen?

Schubert: Ja, das kann man. Aber es ist dabei zu unterscheiden, ob es um das geht, was im Abendmahl gegessen und getrunken wird oder ob es um die äußere liturgische Form geht.

Die Festlegung auf Wein und Brot alleine ist etwa seit dem späten 4. Jahrhundert, beziehungsweise frühen 5. Jahrhundert in den Ostkirchen und in den westlichen etwa ab dem 7. und 8. Jahrhundert, ganz eindeutig. Da hört es dann auch in Spanien und Frankreich auf, dass die Leute Speisen mitbringen.

Die liturgische Form, wie wir sie heute in der katholischen Kirche haben, entwickelt sich liturgiegeschichtlich relativ kompliziert. Aber im Grunde kann man sagen, dass wir die eucharistischen Hochgebete – diese Form von Wandlung mit der entsprechenden theologischen Theorie dazu – seit dem 9. Jahrhundert haben. Dann kommt es natürlich zu einzelnen liturgischen Veränderungen über die liturgischen Reformen bis hin zum Zweiten Vatikanum.

DOMRADIO.DE: "Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls". Das klingt vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen banal, aber das sagt eben auch ganz viel inhaltlich aus.

Schubert: Die Frage ist natürlich, wie man kulinarisch definiert. Einige Rezensenten meines Buches waren etwas enttäuscht von der Ankündigung, eine kulinarische Abendmahlsgeschichte zu hören, und dann geht es am Ende doch nur um Brot und Wein. Das ist ja nur die halbe Wahrheit.

Inzwischen gibt es relativ viele Kirchen weltweit, die nicht mehr nur noch Brot und Wein benutzen, sondern ganz verschiedene Speisen und Getränke. Das sind natürlich vor allem die evangelischen Kirchen und die Freikirchen, nicht die katholische Kirche. Die Gründe sind allerdings sehr unterschiedlich.

Es gibt Gemeinden im pazifischen Raum, die aus kulturellen Gründen – um der eigenen ethnischen und kulturellen Identität willen – Kokosnüsse benutzen. Das machen etwa Freikirchen im pazifischen Raum, wie die Methodisten. Es gibt auch Kirchen in Südostasien, die ebenfalls aus kulturellen Gründen Reis und Palmwein benutzen oder anglikanische Kirchen im subsaharischen Afrika, die einfach aus Armutsgründen das benutzen, was es dort gibt.

Eine etwas merkwürdige Entwicklung beispielsweise ist, dass es einer Umfrage der anglikanischen Kirche zufolge eine ganze Reihe von Kirchen im südlichen Afrika gibt, die gar keinen Wein benutzen, weil es dort keinen Wein gibt. Sie benutzen aber auch kein Wasser, weil das Wasser oft nicht trinkbar ist, sondern Coca-Cola oder Fanta. Das sind industrielle Drinks, die sauber sind, die man besorgen kann und wo man sich keiner Infektionsgefahr aussetzt.

DOMRADIO.DE: Ist es im Grunde auch eine Rückbesinnung auf die Wurzeln?

Schubert: Das kommt darauf an, wie man es sieht. Ich glaube nicht, dass diese Kirchen das als Rückbesinnung sehen, sondern in dem Fall eher als Notlösung. Tatsächlich ist aber für den Historiker, der es von außen betrachtet, schon ganz spannend zu sehen, dass wir tatsächlich in einer Phase sind, in der die Formen des urchristlichen Gemeinschaftsmahls wiederentdeckt werden.

Und es gibt inzwischen auch die ersten theologischen Entwürfe, die das wieder fordern: Also, zurück zu dieser Form von Gemeinschaft, wie es in der Urkirche gefeiert worden ist. Es gibt Tendenzen dazu, dieses klassische, sakramentale, eucharistische Verständnis von Abendmahl hinter sich zu lassen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Abendmahl und Eucharistie

Mit Abendmahls- und Eucharistiefeiern gedenken Christen des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern vor seiner Verhaftung und Kreuzigung. Das theologische Verständnis des Gottesdienstes unterscheidet sich zwischen den christlichen Konfessionen stark.

Symbolbild Eucharistie / © Zolnierek (shutterstock)
Quelle:
DR