Ein Jahr Corona-Impfungen

Ein Piks und viele Weltanschauungen

Vor einem Jahr wurde der erste Mensch gegen Corona geimpft. Seither hat das Thema Impfen die Schlagzeilen der Medien und die Debatten in vielen Gesellschaften dominiert. Es geht um mehr als den kleinen Piks.

Autor/in:
Christoph Arens
Impfung gegen das Coronavirus / © dts Nachrichtenagentur/Pool (KNA)
Impfung gegen das Coronavirus / © dts Nachrichtenagentur/Pool ( KNA )

Seit einem Jahr sieht man sie in fast jeder Nachrichtensendung und jeder Talk-Show: entblößte menschliche Oberarme und eine Impfnadel, die in butterweiches Muskelfleisch dringt. Oder eine stark vergrößerte Spritze, aus deren Nadelöffnung ein Tropfen Impfstoff quillt. Zusammen mit dem stacheligen Covid-19-Virusball dürfte die Impfspritze zur Ikone des ablaufenden Jahres werden.

Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass die Impfkampagne begann. Als erster Mensch der Welt wurde am 8. Dezember 2020 in Coventry die 90-jährige Britin Margaret Keenan mit dem Impfstoff von Biontech immunisiert. Ein vorzeitiges Geburtstagsgeschenk, sagte die Seniorin damals fröhlich in die Kameras. "Wenn ich die Impfung in meinem hohen Alter bekommen kann, können Sie es auch."

Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt

So leicht war es nicht. Denn manchen Menschen geht es nicht nur um einen Piks in den Oberarm, sondern um Weltanschauungen. Auf der einen Seite ist die schnelle Entwicklung von Corona-Impfstoffen ein Triumph der Wissenschaft.

Auf der anderen Seite hat das Impfen zu großen ethischen und verteilungspolitischen Debatten in fast allen Gesellschaften geführt: Wer bestimmt über meinen Körper? Wie weit reicht die Verantwortung des einzelnen für die Gesellschaft und wie weit geht die Verpflichtung der reichen Staaten zur Solidarität mit den ärmeren? Die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen ist darüber hinaus zu einem Stress- und Vertrauenstest für die Politik geworden.

Über die Hälfte der Weltbevölkerung

In Rekordzeit haben mehrere Hersteller Vakzine gegen Covid-19 entwickelt. Inzwischen wurden weltweit über 8,2 Milliarden Corona-Impfungen ausgeliefert. Rund 55 Prozent der Weltbevölkerung haben wenigstens eine Spritze erhalten. In Deutschland sind 57,4 Millionen Menschen oder 69 Prozent doppelt geimpft. 13,9 Millionen haben auch noch eine Booster-Dosis erhalten, das entspricht 16,7 Prozent der Bevölkerung. Mindestens eine erste Impfung haben 59,9 Millionen oder 72,0 Prozent erhalten.

Das Thema Impfen lässt die Gesellschaft trotzdem nicht los. Kein anderes Thema habe derzeit einen so großen Einfluss auf die deutsche Sprache wie die Corona-Pandemie, teilte das Mannheimer Leibniz-Institut für Deutsche Sprache am Montag mit. Viele neue Begriffe beziehen sich auf das Impfen: Während Anfang 2021 noch von der Impfstoffknappheit beeinflusste Wörter wie "Imfpdrängler" und "Impfneid" in die Liste für deutsche Wort-Neuschöpfungen kamen, waren es zuletzt Begriffe wie "Impfschwänzer", "Boosterimpfung" oder "Impfbotschafter".

Debatten über die Impfpflicht

Viel tiefgehender sind die Debatten über die Impfpflicht. Der Widerstand gegen das Impfen ist dabei so alt wie die ersten Impf-Experimente Ende des 18. Jahrhunderts. Impfungen seien gesundheitsschädlich oder unwirksam, so die Argumente der Gegner, die auf einige historische Fehlschläge verweisen können. "Die Vorstellung, dass man sich etwas Krankmachendes einspritzt, um geschützt zu sein, sorgt erst mal für Skepsis", sagt der Medizinhistoriker Malte Thießen. Impfungen seien perfekte Projektionsflächen für Skepsis gegenüber der Moderne oder Verschwörungstheorien. Das gilt besonders in Zeiten, in denen soziale Netzwerke Empörungswellen aufbauen und Hass verbreiten.

Noch wenig untersucht ist dabei die Rolle der Religionen: Zumindest in Deutschland haben alle christlichen Kirchen eindringlich zur Impfung aufgerufen. Auch die großen Freikirchen verteufeln das Impfen nicht. Allerdings gibt es auch hierzulande fundamentalistische Kreise, die den Piks als Eingriff in Gottes Schöpfung sehen.

Strafe Gottes

Corona als Strafe Gottes, gegen die nur ein gottgefälliges Leben hilft: Besonders stark finden sich solche Positionen bei weißen Evangelikalen in den USA - aber auch bei orthodoxen Juden in Israel.

Nach Erkenntnissen von Martin Fritz, Wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, spiegelt sich in der Impfskepsis strenggläubiger Christen ein radikaler Affekt gegen Staat und Medien: "In bestimmten christlich-fundamentalistischen Kreisen", so der Theologe in der "Welt", "herrscht ein grundsätzlicher Dualismus zwischen der gottlosen Welt da draußen und der eigenen frommen Gemeinde".


Quelle:
KNA