Zum 50. Todestag des Architekten Ludwig Mies van der Rohe

Ein Genie, das den Weg zurück verbaute

"Mich langweilt das Zeug, das ich um mich herum sehe", sagte Ludwig Mies van der Rohe über die Architektur seiner Zeit. Sie habe "keine Logik und keinen Verstand". Also ging er daran, sie zu revolutionieren. Gründlich.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ein "Barcelona" Sessel (Ludwig Mies van der Rohe) in einer Krefelder Bauhaus-Villa / © Jana Bauch (dpa)
Ein "Barcelona" Sessel (Ludwig Mies van der Rohe) in einer Krefelder Bauhaus-Villa / © Jana Bauch ( dpa )

Ihre Stunde schlug nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs, als die Gesellschaften Europas schlagartig begreifen mussten: Mit der alten Formensprache von Ornamenten und Neo-Stilen, mit Backstein und Stuck ist die totale Umwälzung der technisierten Welt von heute nicht mehr auszudrücken. Einige wenige Avantgardisten standen bereit, mit neuen Formen, Grundrissen und Materialien auf die Herausforderungen der Moderne zu antworten. Einer von ihnen war der Architekt Ludwig Mies van der Rohe, der am 17. August 1969, vor 50 Jahren, in Chicago starb.

Sein Name gibt ihm einen Hauch internationaler Noblesse. Dabei war er der Sohn eines einfachen Maurers und Steinmetzes namens Michael Mies aus Aachen. Erst 1922 fügte sich das Konstruktionstalent den Geburtsnamen seiner Mutter, Amalie Rohe, an und verband die Bauteile mit einem eleganten "van der". "Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden." Dieses handwerkliche Credo könnte auf die gute Schule seines Vaters zurückgehen, der ihm sein Geschick und Interesse am Gestalten mitgab.

Expressionismus und Konstruktivismus

Schon früh zog es Mies, Jahrgang 1886, nach Berlin, wo er ab 1905 Stationen im Bereich Holz- und Möbelkonstruktion absolvierte. 1908 wechselte er ins Büro des damaligen Trendsetters der "sachlichen Architektur", Peter Behrens, wo auch die späteren Visionäre Walter Gropius und Le Corbusier arbeiteten.

Zunächst noch von den Formen des Neoklassizismus geprägt, entwickelte Mies - auch in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Strömungen wie dem Expressionismus und Konstruktivismus - allmählich eine eigenständige Sprache, die auf Qualität des Materials, Fläche und variable Nutzbarkeit setzte.

"Weniger ist mehr"

1927 äußerte er die Überzeugung, die Form solle nicht um ihrer selbst willen, sondern "vom Leben her" gefunden werden. "Form als Ziel mündet immer in Formalismus. Wirkliche Form setzt wirkliches Leben voraus." Seine Bauten wollte er zu "neutralen Rahmen" machen, "in denen Menschen und Kunstwerke ihr eigenes Leben führen können". Als Minimalist machte er den Ausdruck "weniger ist mehr" zu einer Art Kampfbegriff.

In diesem Sinn entstanden als frühe Meisterwerke die Mehrfamilienhäuser der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung (1927), der deutsche Pavillon für die internationale Ausstellung in Barcelona (1928/29) oder die Villa des Ehepaars Tugendhat im mährischen Brno (Brünn, 1930). Auf Drängen von Gropius übernahm Mies 1930 die Leitung des bedrängten Bauhauses in Dessau und Berlin, bis die Nationalsozialisten dort endgültig die Lichter ausmachten.

"Vernünftig und klar halten"

1937 kehrte er der geistigen Enge Nazi-Deutschlands den Rücken und folgte dem Werben der Neuen Welt. Aus mehreren Optionen übernahm Mies 1938 die Leitung der Architekturabteilung des Illinois Institute of Technology (I.I.T.) in Chicago. Bereits bei der Neugestaltung des Hochschulgeländes zeigte er die zukunftsweisenden Gestaltungselemente seiner amerikanischen Zeit: das sichtbare Bauskelett aus Stahlelementen und die gläserne Fassade. Glas und Stahl als Haut und Knochen des Gebäudes.

So entstanden die späten Meisterwerke wie das scheinbar schwebende Farnsworth House in Plano (1945/50), die Crown Hall des I.T.T. in Chicago (1956), das New Yorker Bürohochhaus Seagram (1958) oder die Neue Nationalgalerie in Berlin (1962-1968). "Es lag mir daran, alles vernünftig und klar zu halten", resümiert Mies van der Rohe. "Manche Leute sagen, was ich mache, sei 'kalt'. Das ist lächerlich. Man kann sagen, dass ein Glas Milch warm oder kalt ist. Aber nicht Architektur." Dekoriert mit Auszeichnungen, aber geplagt von Arthritis und Speiseröhrenkrebs, starb Mies 1969.

Die revolutionären Ideen des Bauhauses haben eine neue, rationale Richtung des Bauens vorgegeben. Sie wurden totgeritten in den plumpen Klonen der Vorstädte, den real existierenden Plattenbaulandschaften von Paris bis Prag, von Magdeburg bis Wladiwostok: die Diktatur der geraden Linie; das traurige Gesicht der Architektur des 20. Jahrhunderts. Steht man vor den Originalen, der Villa Tugendhat oder dem Barcelona-Pavillon, begreift man: Um dorthin zu gelangen, wo Mies hingelangt ist, bedurfte es eines Genies. Von dort wieder wegzukommen, braucht es viele.


Briefmarke mit dem Bild von Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) / © wantanddo (shutterstock)
Briefmarke mit dem Bild von Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) / © wantanddo ( shutterstock )
Quelle:
KNA