Stahlbauer wandelt Hochseecontainer zu Kapelle um

Wo Gott in einer Frachtbox wohnt

Das letzte Juni-Wochenende gilt als Tag der Architektur. Anlass für einen Blick ins oberbayerische Aresing: Dort gibt's die womöglich einzige Kapelle in einem Hochseecontainer. Sie hat schon stürmische Zeiten erlebt.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Stahlbauer wandelt Hochseecontainer zur Kapelle um / © Christopher Beschnitt (KNA)
Stahlbauer wandelt Hochseecontainer zur Kapelle um / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Er könnte über die Weltmeere schippern, Gischtspritzer abbekommen, von kreischenden Möwen umkreist werden. Stattdessen liegt der frühere Hochseefrachtcontainer unbeweglich neben einem Radweg am Ortsausgang von Aresing, irgendwo zwischen Ingolstadt und Augsburg.

Das klingt zunächst eher langweilig im Vergleich zu einem Leben in der Weite und im Wogen der Ozeane. Doch diesen Container hätte es schlimmer treffen können. Kleinere "Verwandte" müssen schließlich all das schlucken, was Leute nicht mehr haben wollen: Kleider, Glas, Papier. Der Container von Aresing hingegen nimmt die Menschen selbst auf - zum Kapellenbesuch.

Turm mit Glocke

In dem zweieinhalb mal sechs Meter großen grauen Stahlkonstrukt steckt nämlich ein Gotteshaus. Das ist schon von weitem zu erkennen: Vom Dach empor ragt ein drei Meter hoher Turm mit Glocke. Mit ihr hat vor einigen Jahren alles angefangen.

"Zu meinem 50. Geburtstag habe ich sie gießen lassen", erzählt Xaver Ostermaier. Der 57-Jährige betreibt in Aresing einen Stahlhandel- und Metallbaubetrieb. Die Kapelle steht auf seinem Grund. Er habe schon länger den Wunsch nach einem solchen Bau gehabt, ergänzt der Handwerker. "Ich hab drei gesunde Kinder, drei Enkelkinder, drei Werkstätten. Dafür kann man Dankbarkeit zeigen." Die Materialwahl habe bei seinem Beruf nahegelegen. Und so ein Container möge erst verschlossen wirken, doch lasse er sich an einer Seite komplett öffnen. "Das steht für die Weite Gottes."

Seit 13 Jahren arbeitet er zudem als Künstler

Vor einem Jahr weihte der katholische Ortspfarrer die "Heilig-Geist-Kapelle" ein. Ihren Namen hat sie wegen der Innengestaltung, zu der unter anderem ein zentrales Rundfenster gehört, das eine Taube - Sinnbild des Geistes - zeigt.

"Die Taube steht auch für den Frieden, den wir heute so nötig haben", sagt Martin Knöferl (58), der das Bild geschaffen hat. Knöferl leitet die Koordinationsstelle Supervision des Bistums Augsburg. Seit 13 Jahren arbeitet er zudem als Künstler. "Damals war mein Bruder todkrank", berichtet Knöferl. Er habe seinerzeit zufällig eine rote Glasscherbe gegen das Licht gehalten - und das entstandene Leuchten für einen Hoffnungsschimmer.

Viel Glas und ein Tauben-Fenster

Auch in der Container-Kapelle ist viel Glas verarbeitet, nicht nur im Tauben-Fenster. Dieses ist so blau wie das Dutzend Längsscheiben an den Wänden und die zig Steinchen an den Rändern des Bodens. "Blau erinnert an den Himmel und an Wasser, es strahlt Ruhe, Kraft und Vertrauen aus", erklärt Knöferl. Die Scheiben an den beiden Türen sind indessen rot. "Die Farbe der Liebe, der Leidenschaft und des Heiligen Geistes."

Rot findet sich auch im Altar wieder, in verbauten Scherben. Sie sollen die Zerbrechlichkeit des Lebens symbolisieren; ihre Farbe soll an die liebevollen Momente des Daseins erinnern. Wer auf diese Scherben blickt, tut das durch Metallstäbe hindurch. "Gott erschließt sich nicht im Vorbeigehen, ist nicht einfach so zugänglich. Daher das Gitter, in dem eine Kreuzgestalt erkennbar ist", erläutert Knöferl.

Rund um die Uhr geöffnet

Ungeschützt ist hingegen das Weihwasserbecken im Eingangsbereich - ein Brunnen aus Edelstahl, der unaufhörlich Nass emporsprudelt. "Das ist ein Zeichen von Lebendigkeit, es erinnert Christen an ihre Taufe." Und den Hochseecontainer vielleicht an seinen Herkunftsort - hier auf dem Trockenen, wo die nächste Küste 350 Kilometer Luftlinie weit weg ist.

Auf kleinstem Platz vereint die Frachtbox-Kapelle also jede Menge Sehenswertes. Und im Ganzen ist sie sowieso etwas Besonderes - man kenne jedenfalls nichts Vergleichbares, heißt es auf Nachfrage von der Bundesarchitektenkammer.

Anschauen und erleben lässt sich das außergewöhnliche Gotteshaus rund um die Uhr. In Aresing ist die Welt also noch in Ordnung, da gibt's keine Diebe und Vandalen? "Von wegen", erwidert Ostermaier. "Anfangs haben hier nachts Leute das Spendenkästchen geleert, Weihwasser verschüttet und alle Kerzen angezündet. Aber dann hab ich die Kapelle einige Tage zugemacht. Nachdem sie wieder geöffnet wurde, blieb's ruhig." Am Container ist dieser Rabatz spurlos vorübergegangen. Stürmische Zeiten kannte er ja auch schon aus seinem ersten Leben.


Quelle:
KNA