Drei Jahre nach der Unabhängigkeit droht der Südsudan im Krieg zu versinken

Zerreißprobe im jüngsten Staat der Welt

Zum Feiern ist den Südsudanesen nicht zumute. Der langersehnte eigene Staat droht zu zerbrechen, die Bevölkerung erleidet Hunger und Elend. Regierung und Rebellen scheinen an einer Lösung nicht interessiert.

Autor/in:
Marc Engelhardt
Flüchtlinge im Südsudan (dpa)
Flüchtlinge im Südsudan / ( dpa )

Als am 9. Juli 2011 feierlich die südsudanesische Flagge über der neuen Hauptstadt Juba gehisst wurde, kannte der Jubel im jüngsten Staat der Welt keine Grenzen. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg mit der sudanesischen Armee und einer mühsam arrangierten Volksabstimmung war der Vielvölkerstaat von der Größe Frankreichs eigenständig. In diesem Moment einte eine Hoffnung die rund zehn Millionen Einwohner: Frieden. Doch nur drei Jahre später ist das Land mitten in seiner ersten Zerreißprobe.

Hilfsorganisationen warnen vor Hungersnot

Seit Mitte Dezember 2013 kämpfen Regierungstruppen und Rebellen unter der Führung von Ex-Vizepräsident Riek Machar um die Macht. Das Land ist entlang ethnischer Linien gespalten. Menschenrechtler werfen beiden Seiten schwere Kriegsverbrechen vor. Mehr als 10.000 Opfer hat der jüngste Konflikt bereits gefordert. Und es könnten deutlich mehr werden. Denn die UN und Hilfsorganisationen verzeichnen dramatische Nahrungsmittelengpässe im Südsudan - schon im kommenden Monat könnte für beinahe das ganze Land eine katastrophale Hungersnot erklärt werden, sagt Nancy Lindborg vom US-Hilfswerk USAID. "Das ist beinahe unvermeidlich."

Wegen der Gefechte sind viele der ohnehin entlegenen Regionen kaum erreichbar. In der Regenzeit, die derzeit herrscht, gilt das ganz besonders. Außerdem fehlt Helfern das Geld: Regierungen und Spender haben bislang so wenig gegeben, dass Essensrationen in den Flüchtlingslagern bereits um die Hälfte gekürzt werden mussten.

Übergangsregierung so gut wie ausgeschlossen

Das Leid im Land scheint weder Machar noch Präsident Salva Kiir zu einer Lösung anzutreiben. Dass beide - wie Anfang Juni vereinbart - sich bis August auf eine Übergangsregierung einigen werden, gilt beinahe als ausgeschlossen. Rebellenführer Machar tourt stattdessen durch afrikanische Hauptstädte. Zuletzt traf er Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Dort warb er um Unterstützung für seine neue Forderung, die Bildung eines föderalen Südsudan. "Nehmen Sie als Beispiel die Schweiz, dort leben vier Bevölkerungsgruppen in Frieden zusammen", sagte Machar kürzlich. "Auch wir sind eine Nation mit einer großen Vielfalt von Völkern und Kulturen."

Die Forderung ist nicht neu. Tage vor dem Unabhängigkeitstag 2011 warnte Marina Peter, die seit Jahrzehnten im Sudan und Südsudan vermittelt, vor den Problemen eines zentralistischen Staates: "Der alte sudanesische Fehler, ein starkes Zentrum zu schaffen zu Lasten einer schwachen, vernachlässigten Peripherie, droht sich im Süden zu wiederholen." Und so kam es. Jenseits der Hauptstadt Juba hat sich in der vergangenen drei Jahren kaum etwas getan. Selbst Hilfsorganisationen trauen sich wegen fehlender Infrastruktur, grassierender Krankheiten und Banditentum nicht aufs Land.

Und doch hinkt der Vergleich zwischen dem Südsudan, aktuell auf dem letzten Platz des UN-Entwicklungsindex, und der Schweiz. Wenn Präsident Salva Kiir sagt, der Südsudan sei derzeit für föderale Strukturen nicht bereit, dann hat er recht. Bis heute werden leitende Positionen in den Regionalregierungen an verdiente Rebellen vergeben, von denen nicht alle lesen oder schreiben können. Geld versickert in dunklen Kanälen. Polizei und Militär gelten als ebenso korrupt wie die meisten Politiker, die immer wieder Geld aus den Öleinnahmen abzweigen. Was übrig bleibt, wird in den Krieg gesteckt.

Soldatensold ist großer Posten im Haushalt

Der vergangene Woche vorgestellte südsudanesische Haushalt hat ein Volumen von knapp drei Milliarden Euro, achtzig Prozent der Einnahmen stammen aus dem Ölgeschäft. Zwei Fünftel des Haushalts gehen für Staatsgehälter, vor allem Soldatensold, drauf; weitere 35 Prozent für den "Sicherheitssektor", noch einmal zehn Prozent für Polizei und Gefängnisse. Bleiben knapp 15 Prozent für alles andere. "Das ist nicht der Haushalt, den ich mir gewünscht habe", räumt der südsudanesische Finanzminister Agrey Tisa Sabuni ein. Doch in der derzeitigen Lage gebe es keine Alternative.

Für die Südsudanesen ist das keine gute Nachricht. Es scheint, als ob der nach außen oft so nachdenklich erscheinende Salva Kiir seine Macht und die seiner Mehrheitsethnie, der Dinka, mit Waffengewalt verteidigen will. Machar, der die zweitgrößte Ethnie der Nuer vertritt, wirkt ebenso entschlossen. Starke internationale Vermittler sind nicht in Sicht, die Gespräche des regionalen Staatenbundes Igad dümpeln vor sich hin. Und so könnte das vierte Jahr der Existenz des Südsudans das schwärzeste seiner kurzen Geschichte werden.


Quelle:
epd