Drei Fragen an den Theologen Josef Stautner von der Telefonseelsorge

"Zerrissenheit in der Familie wird noch stärker gespürt"

Viele Menschen kämpfen zwischen den Jahren mit Einsamkeit oder anderen Problemen. Auch dann ist die Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar. Leiter Josef Stautner weiß, was die Menschen über den Jahreswechsel beschäftigt.

Autor/in:
Gabriele Ingenthron
Es gibt 104 Telefonseelsorge-Stellen in Deutschland / ©  Jan Woitas (dpa)
Es gibt 104 Telefonseelsorge-Stellen in Deutschland / © Jan Woitas ( dpa )

Am Abend, wenn es still wird, klingeln die Telefone in den Telefonseelsorgestellen besonders häufig. Wenn die eigene Einsamkeit überhandnimmt zwischen den Jahren, bleibt oft als letzter Ausweg nur noch die Telefonseelsorge, weiß Josef Stautner. Seit zehn Jahren leitet der Theologe die Telefonseelsorge in Ostbayern - mit 10.000 Beratungsgesprächen pro Jahr.

epd: Herr Stautner, was brauchen die Anrufenden an den Feiertagen besonders?

Josef Stautner (Theologe, Leiter der Telefonseelsorge Ostbayern): An den Feiertagen tritt manches verstärkt hervor, vor allem auch das Thema Einsamkeit, das schon das ganze Jahr über einen hohen Stellenwert einnimmt. Über die Feiertage wird die Haut bei den Menschen noch dünner, sie sind noch empfindlicher als sonst. Deshalb rechnen wir mit vielen Anrufen von einsamen Menschen und Menschen in depressiven Zuständen, weil manches noch schärfer hervortritt, was eben nicht heil ist. Manche Zerrissenheit in der Familie wird noch stärker gespürt, weil es nicht so läuft, wie man es sich vorstellt.

Es kommen aber auch Anrufe von Menschen mit Krankheiten, mit Partnerschaftsproblemen oder Existenzsorgen. Auch diese Probleme treten an den Feiertagen verschärft hervor, weil der normale Alltag unterbrochen ist und die sonstigen Anlaufstellen oder Therapieangebote an diesen Tagen ausfallen. Im Endeffekt bleiben nur noch die Telefonseelsorge und der Krisendienst, die rund um die Uhr über die Feiertage erreichbar sind.

epd: Von Jahr zu Jahr steigen die Anrufe bei der Telefonseelsorge, mehr als 204.000 sind es pro Jahr in Bayern. Steigt der Peak an den Feiertagen nochmal merklich an?

Stautner: Dass die Anrufe über die Feiertage steigen, kann man nicht sagen. Das liegt daran, dass die Telefonseelsorge bayern- und bundesweit sehr gut ausgelastet ist und nicht viel mehr Gespräche geführt werden könnten. Ich denke aber schon, dass mehr Menschen versuchen, die Telefonseelsorge zu erreichen. Deshalb sollten die Anrufenden, wenn die Leitungen besetzt sind, vor allem am späten Nachmittag, in den späten Abend oder die Nacht hinein, es ein zweites oder drittes Mal versuchen. Ein günstigerer Zeitpunkt ist auch vormittags.

Josef Stautner

"Sie finden bei uns keinen Roboter vor, sondern ein menschliches Gegenüber, das die Not, Dunkelheit und Abgründe mit aushält"

epd: Wann ist es für Sie ein gelungenes Gespräch, das dem Anrufenden etwas gegeben hat?

Stautner: Wunder wirken kann niemand von uns, auch an Weihnachten nicht. Aber allein das Zuhören und Da-sein sind wichtig. Sie finden bei uns keinen Roboter vor, sondern ein menschliches Gegenüber, das die Not, Dunkelheit und Abgründe mit aushält. Ein gelungenes Gespräch ist es, wenn man mit dem Anrufer in Kontakt kommt, wenn er wirklich verstanden wird.

Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge ist unter den Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222 rund um die Uhr kostenfrei und anonym erreichbar. Unter dem Motto "Sorgen kann man teilen" werden hier jährlich rund 1,8 Millionen Gespräche geführt. An 105 Stellen bundesweit stehen etwa 7.500 geschulte, ehrenamtliche Mitarbeiter mit vielseitigen Lebens- und Berufskompetenzen Ratsuchenden zur Seite. Sie unterliegen einer Schweigepflicht.

Mehr Beratungen durch die Telefonseelsorge, vor allem per Chat / © Mabeline72 (shutterstock)
Mehr Beratungen durch die Telefonseelsorge, vor allem per Chat / © Mabeline72 ( shutterstock )
Quelle:
epd