Drei Fragen an Altbischof July zur Jahreslosung 2026

"Ein Entlastungspaket für die Seele"

Die Jahreslosung ist ein ökumenisch ausgewählter Bibelvers, der Christen nächstes Jahr begleiten soll. "Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!" lautet sie für 2026. Württembergs Ex-Bischof July sieht darin ein therapeutisches Wort.

Autor/in:
Marcus Mockler
Frank Otfried July (ehemaliger Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg) / ©  Thomas Lohnes (epd)
Frank Otfried July (ehemaliger Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg) / © Thomas Lohnes ( epd )

epd: Herr Bischof, die Jahreslosung für 2026 lautet "Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!" In einer Zeit voller Krisen klingt das wie eine Vertröstung auf die ferne Zukunft. Wie passt dieser Satz in unsere Gegenwart?

Frank Otfried July (Württembergs früherer evangelischer Bischof): Der Satz ist in erster Linie ein Trostwort, ursprünglich für Menschen in einer Verfolgungssituation geschrieben. Heute kann er wie ein Entlastungspaket wirken. Viele Menschen leben unter der enormen Belastung, globale Probleme wie Krieg oder die Klimakrise allein stemmen zu müssen. Die Zusage, dass Gott am Ende alles neu macht, entlastet von diesem Druck. Sie ist aber kein Aufruf zur Tatenlosigkeit.

epd: Bedeutet das, Christen können sich gelassener engagieren als beispielsweise Aktivisten der "Letzten Generation"?

July: Das Engagement dieser jungen Leute ist wichtig und hat einen guten Willen. Sie legen sich damit aber auch eine Wahnsinnslast auf, unter der Einzelne psychisch fast kollabieren. Wer daran glaubt, dass Gott das letzte Wort hat, muss sich nicht selbst als die letzte Rettung verstehen. Es gilt: Wer ums Letzte weiß, kann sich im Vorletzten einbringen, ohne das Vorletzte zum Letzten zu machen. Das ermöglicht ein Engagement aus einer stabilen inneren Haltung heraus.

epd: Welche Bedeutung hat das kleine Wort "Siehe" am Anfang des Satzes?

July: Es ist eine Aufforderung, in unserer abgelenkten Zeit innezuhalten und wirklich hinzuschauen, statt nur auf Bildschirme zu blicken. Martin Luther sprach von der "selbstverkrümmten" Blickrichtung des Menschen. Das "Siehe" kann diesen Blick aufreißen, den Horizont erweitern und neue Perspektiven schenken. Dieser Satz hat also auch eine starke therapeutische Wirkung. Er lädt ein, neu zu sehen und einander wieder richtig zuzuhören.

Das Interview führte Marcus Mockler.

Jahreslosung

Seit 1930 gibt es die ökumenische Tradition eines Bibelwortes, das als Jahreslosung Christinnen und Christen ein Jahr lang begleiten soll. Die Idee dazu hatte der württembergische evangelische Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1938), der Mitglied der NS-kritischen Bekennenden Kirche war. Zunächst waren die biblischen Jahreslosungen für die Jugendarbeit gedacht und sollten das tägliche Bibellesen fördern. "Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht" (Römer 1,16) lautete die erste Jahreslosung.

Eine Frau liest in einer Bibel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine Frau liest in einer Bibel / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
epd