In seiner Predigt im Kapitelsamt aus dem Kölner Dom am fünfzehnten Sonntag im Jahreskreis hat Domkapitular Christoph Ohly die lau ihm zentrale Frage des Evangeliums aufgegriffen: "Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" Diese Frage, so Ohly, habe auch heute noch Relevanz – vielleicht in anderer Form, Wie kann ein Leben gelingen?
Jesus verweist im Gespräch mit dem Gesetzeslehrer auf die Heilige Schrift und damit auf das Doppelgebot der Liebe: Gott mit ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Ohly bricht diese Aussage herunter: "Lebe nicht für dich allein, sondern unter den Augen Gottes – so, dass er dir gerne zusieht." Diese Haltung verlange eine grundsätzliche Wende im Denken des Menschen – vergleichbar mit der kopernikanischen Wende, bei der sich nicht mehr alles um den Menschen selbst drehe, sondern um Gott.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
Gerade in Momenten der Schwäche und des Leids werde diese Sichtweise auf die Probe gestellt: Wenn Gott mich liebt – warum lässt er Krankheit, Armut oder den Tod eines nahestehenden Menschen zu? Auch dann sei der Mensch eingeladen, Gott zu vertrauen und ihm zu erlauben, das Leben anzuschauen – mit dem Zuspruch: "Ich schaue dein Leben gerne und mit Freude an", sagt Ohly.
Der zweite Teil des Evangeliums thematisiert das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ohly stellte klar: Die Frage sei nicht "Wer ist mein Nächster?", sondern "Wem werde ich zum Nächsten?" Christliche Nächstenliebe bedeute, sich innerlich treffen zu lassen – "wie ein Blitz ins Herz" – und bereit zu sein, für andere einzustehen. Das hebräische Wort für Barmherzigkeit, "chesed", sei sprachlich mit dem Mutterschoß verwandt – ein Bild für die existenzielle Zuwendung und das Mitleid, das den Samariter zum Helfen bewegt.
Berufung der Kirche und jedes einzelnen Christen
Ohly fordert einen Perspektivwechsel: Weg vom bloßen Erkennen von Not – hin zum Handeln in der Haltung eines Menschen, der weiß, dass er selbst geliebt ist. Denn nur wer sich geliebt weiß, kann auch lieben.
Abschließend verweist Ohly auf eine Deutung der Kirchenväter, die das Gleichnis vom barmherzigen Samariter auf Christus hin lesen. Der verletzte Mann am Wegrand steht für den vom Leben gezeichneten Menschen; der barmherzige Samariter ist Christus selbst, der den Menschen heilt, ihn mit Öl und Wein – Zeichen der Sakramente – pflegt und in die Herberge, Bild für die Kirche, bringt. Der Auftrag "Geh und handle genauso" wird vor diesem Hintergrund zum Ruf an jeden Christen, die empfangene Barmherzigkeit weiterzugeben.
Ohly schließt mit dem Hinweis, dass beide Figuren im Gleichnis auf uns selbst zutreffen: Wir alle sind der hilfsbedürftige Mensch – und zugleich sind wir gerufen, in Christus zum Nächsten zu werden. Das sei die Berufung der Kirche und jedes einzelnen Christen: "Geh und handle genauso."
DOMRADIO.DE hat das Kapitelsamt am fünfzehnten Sonntag im Jahreskreis aus dem Kölner Dom mit Domkapitular Christoph Ohly übertragen. Der Kölner Domchor und der Mädchenchor am Kölner Dom gestalteten den Gottesdienst, Matthias Wand spielte die Domorgel. Für den Kölner Domchor unter der Leitung von Eberhard Metternich und dem Mädchenchor am Kölner Dom unter der Leitung von Oliver Sperling war es das letzte Hochamt vor den Sommerferien.
Gleichzeitig war der Jugendchor der Kathedrale von Granada, Spanien im Rahmen des diözesanen Pre-Festivals zum großen internationalen Chorfestival PUERI CANTORES München 2025 zu Gast in Köln. Deswegen gestaltete der Chor unter der Leitung von Patricia Latorre das Kapitelsamt musikalisch mit. Aufgrund der Sommerferien entfällt am Sonntagabend das Musikalische Abendgebet bis Ende August.
Evangelium
An diesem Sonntag stand im Kapitelsamt die Erzählung vom barmherzigen Samariter im Zentrum des Evangeliums:
"In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben! Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jéricho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber.
Ein Samaríter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denáre hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!" (Lk 10,25-37; (© Ständige Kommission für die Herausgabe der gemeinsamen liturgischen Bücher im deutschen Sprachgebiet)
Auslegung zum Sonntagsevangelium am 13. Juli 2025
Von Basilius von Caesarea, Kirchenlehrer:
"Dies ist also das erste und wichtigste Gebot der göttlichen Liebe; ein zweites aber ergänzt das erste und ist von ihm erfüllt, in dem wir ermahnt werden, den Nächsten zu lieben; daher folgt: „und den Nächsten wie dich selbst“. Wir bekommen von Gott die Fähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Wer wüsste nicht, dass der Mensch ein Wesen ist, das auf Liebe und Gemeinschaft und nicht auf Isolation und Härte angelegt ist? Nichts ist nämlich für die menschliche Natur so typisch, wie der Austausch miteinander, das Angewiesensein aufeinander und die Liebe zum Verwandten. Wovon der gütige Herr uns die Samen anvertraut hat, davon verlangt er konsequenterweise die Früchte."
Von Basilius von Caesarea („der Große“, Bischof, Kirchenlehrer, um 330–379), hier nach: Thomas von Aquin, Catena Aurea. Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis, hg. v. Marianne Schlosser und Florian Kolbinger, 669–670, © EOS Verlag, St. Ottilien, 2. Auflage 2012