Militärseelsorger sieht Belastung durch Afghanistan-Abzug

"Dieser Einsatz bekommt ein Gesicht"

Nach dem Abzug der internationalen Truppen haben die Taliban innerhalb von Wochen Afghanistan übernommen. Was macht das mit den Soldaten, die 20 Jahre versucht haben, dem Land Stabilität zu bringen?

Soldaten der Bundeswehr / © Jörg Hüttenhölscher (shutterstock)
Soldaten der Bundeswehr / © Jörg Hüttenhölscher ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Bilder im Fernsehen haben wir ja alle gesehen von den Taliban, die Afghanistan wieder eingenommen haben. Sie kennen das Land und die Menschen. Was ging ihnen da durch den Kopf?

Bernd F. Schaller (Militärdekan): Da kommen schon andere Gefühle hoch, als bei jemandem, der mit der Thematik nicht so verbunden ist. Natürlich kommen einem sofort Gesichter in den Kopf, man merkt plötzlich, wie man angerührt ist. Das ist sehr emotional und man stellt sich innerlich natürlich auch die Fragen: Wie geht es denen Menschen dort? Auf der einen Seite die Soldatinnen und Soldaten, die jetzt sicherstellen, dass die Menschen wirklich rauskommen, dass es abgesichert ist. Aber auf der anderen Seite natürlich auch die Menschen, die viel für uns getan haben in der Zeit, als wir unten waren mit den Soldatinnen, Soldaten. Wenn man die Leute kennt, dann ist das natürlich schon etwas, was einen umtreibt, bis zum heutigen Tag.

DOMRADIO.DE: Seit 20 Jahren kennen wir die Schlagzeilen. Sie kennen Situation dahinter. Sie waren 2010 in Kundus, Sie waren 2017 in Masar-e Scharif. Was ist das für ein Alltag für die Soldatinnen und Soldaten? Wie kann man sich das vorstellen?

Schaller: In so einem Feldlager gibt's ganz viele Menschen, die für die da sind, die dann tatsächlich auch rausgehen. Das ist ja keine große Masse, sondern spezielle Dienste, die da übernommen werden. 2010 waren es überwiegend Kampfeinsätze. Aber 2017 hat man sehr viel Ausbildung gemacht und Training für die afghanischen Streitkräfte. Und da sind natürlich dann auch viele vorbereitende Arbeiten notwendig. 

Sie können sich das vorstellen wie eine Kaserne, aber in einem anderen Land, unter anderen klimatischen Bedingungen. Die Sicherheit spielt eine große Rolle, auch für die eigenen Leute. In den deutschen Feldlagern hatten wir auch sogenannte Ortskräfte. Das waren zum Teil Dolmetscher, Leute, die die Straßen instand gehalten haben. Ganz viele Leute, die dann in der Früh kamen und am Abend wieder gegangen sind - die sogenannten Locals. Da entsteht schon ein gewisses Miteinander.

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf die Soldatinnen und Soldaten. Gerade Kampfeinsätze sind eine große psychische Belastung für die Streitkräfte vor Ort. Was haben Sie damals als Seelsorger von den Menschen gehört?

Schaller: Das sind ganz oft junge Leute. Die haben Kampfeinsätze zwar trainiert haben. Aber plötzlich wird aus dieser Übungssituation wirklich hundertprozentiger Ernst, wenn ich plötzlich durch einen Ort fahre und beschossen werde und zurückschieße. Dann stellen sich anschließend, wenn man wieder zurück ins Lager kommt und zur Ruhe kommt, die Fragen plötzlich: Hab ich eventuell jemanden verletzt oder erschossen? Der Konvoi fährt ja weiter. Die kriegen ja gar nicht mit, was da hinterlassen wurde.

Verwundung, Tod von Menschen, was macht das mit einem? Wie schaut es mit der Angst der Angehörigen, die zuhause tausende Kilometer entfernt sind, aus? Das sind alles die Fragen, die die Leute damals, 2010, umgetrieben haben. 2017 war es dann schon eher so, dass die Fragen sich ganz anders gestalten.

DOMRADIO.DE: Da ging es ja wahrscheinlich auch schon um das Thema möglicher Truppenabzug. Das wird hier schon länger diskutiert. Es wird von vielen Seiten kritisiert, wie überstürzt das nun gelaufen ist. Ich. Sie stehen ja jetzt auch noch mit Soldaten in Kontakt. Was denken die denn darüber?

Schaller: 2013 wurde die ISAF-Mission beendet, danach war auch noch nicht ganz klar, wie es weiter geht. Dann hat man die Mission "Resolute Support" angesetzt. Aber Frage, wann der Abzug kommt, stellt sich natürlich bei so einem Einsatz immer wieder, vor allen Dingen dann, wenn irgendetwas passiert. Dann wird ja auch der Druck aus der Bevölkerung größer, wo gefragt wird, was wir da unten überhaupt tun.

Natürlich haben die Soldatinnen und Soldaten das auch auf dem Schirm, aber es ist nicht so, dass das das all beherrschende Thema damals war. Sie hatten ja einen ganz konkreten Auftrag als Parlamentsarmee und den haben sie ausgeführt. Und ich glaube, jeder hat sich bemüht, den so gut auszuüben, wie es eben ihm persönlich möglich ist.

Jetzt aber ist dieses Thema jeden Tag hochaktuell. Und natürlich gibt es da viele Fragen, die auftauchen. Und natürlich sehen sich jetzt einige bestätigt, die schon lange gesagt hatten, dass nach einem Abzug Chaos eintritt. Es treibt natürlich die Menschen um. Es hat natürlich auch jede Soldatin und jeder Soldat Beziehungen aufgebaut zu Menschen dort. Da bekommt dieser Einsatz ein Gesicht.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Militärdekan Bernd F. Schaller (privat)
Militärdekan Bernd F. Schaller / ( privat )
Quelle:
DR