Die rheinland-pfälzische Unionschefin verteidigt Mindestlohn-Weg der CDU

"Mit der Gesellschaft entwickeln"

CDU-Chefin Angela Merkel kann auf den Rückhalt ihrer Partei bauen: Die Delegierten des Bundesparteitags stimmten mit großer Mehrheit der Einführung weiterer Mindestlöhne zu. Im domradio.de-Interview verteidigt Julia Klöckner den Weg ihrer Partei.

 (DR)

domradio.de: Früher war der Mindestlohn vor allem ein Thema der SPD, zu Beginn Ihres Parteitags in Leipzig war es auch eines bei der CDU. Sind Sie zufrieden mit den Gesprächen?

Klöckner: Wenn ich Sie korrigieren darf: Die SPD hat in der Tat darüber gesprochen, aber die CDU hat die Mindestlöhne in der Vergangenheit auch gemacht. Das irritiert den einen oder anderen. Denn es gibt bereits einen Mindestlohn: In der Baubranche unter Helmut Kohl, in den 1990er Jahren wurde hier ein branchenspezifischer Mindestlohn eingeführt. Überhaupt tragen alle Branchenmindestlöhne die Unterschrift eines christdemokratischen Arbeitsministers. Unter CDU-Regierungen hat es die Weiterentwicklung der Branchenmindestlöhne gegeben, unter Rot-Grün ist leider gar nichts passiert. Was wir gestern gemacht haben, ist letztlich die Entscheidung dazu, dass die Branchenmindestlöhne weiter entwickelt werden. Und vor allen Dingen, dass es keine weißen Flecken mehr geben darf in Deutschland auf der Tariflandkarte; dass keine Löhne mehr in den Boden sinken, denn dort, wo die Tarifpartner sich nicht an den Tisch setzen, war das ja der Fall. Und wir wollen, dass die Tarifpartner nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Und dass in der Kommission genau das jetzt bestimmt werden wird.



domradio.de: Wenn Sie sagen, die Mindestlöhne sind schon seit Jahren ein Thema der CDU: Woher kommt der allgemeine Eindruck, die CDU verhält sich wie das sprichwörtliche Fähnchen im Wind?

Klöckner: Hieran haben sicherlich auch Journalisten ihren Beitrag. Aber auch einzelne Parteimitglieder, und gerade die Spitze. Die Frage ist ja: Was verstehen wir unter Mindestlöhnen? Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Verständnis von Rot-Rot-Grün und dem der CDU, was Mindestlöhne anbelangt. Rot-Rot-Grün möchte einen Mindestlohn in Euro und Cent, den Parteien festsetzen, den Politiker festsetzen. Das ist dann meist atmosphärisch. Davon halte ich nichts, davon hält die CDU auch nichts. Mindestlöhne festzusetzen, das ist die Aufgabe derer, die Betroffen sind: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, weil sie ihre Branche kennen. Deswegen wurde auch unterschieden zwischen Lohnuntergrenze und Mindestlohn, um deutlich zu machen, dass man etwas anderes darunter versteht. Wichtig ist doch, was dabei rauskommt: dass ein Arbeitnehmer, der vielleicht geringqualifiziert ist, eben nicht vor Gericht zieht und sagt, die 3,50 Euro sind sittenwidrig, weil er Angst hat, seinen Job zu verlieren. An seiner Seite müssen wir stehen und klar machen: Leute, das geht so nicht!



domradio.de: Noch mal: Die CDU vollzieht also keine Kehrtwende?

Klöckner: Es ist eine Weiterentwicklung. Und wenn sich Zeiten ändern, muss eine Partei auch bereit sein, Realitäten wahrzunehmen; Dass das, was wir bereits an Instrumentarien haben - das Gesetz gegen die sittenwidrigen Löhne, es gibt das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Wenn es aber nicht angewandt worden ist in vielen Branchen, müssen wir heute erkennen: Dann müssen wir eben nachhelfen. Ich fand die Debatte gestern auf dem Parteitag hierzu, aber auch zur Aussprache zur Rede der Kanzlerin, nicht nur erhellend, sondern sie hat auch gezeigt, wie lebendig die Partei ist. Dass es gut tut, über aktuelle Entwicklungen zu reden. Ich persönlich bin damals nicht in die CDU eingetreten, weil sie strukturkonservativ ist und immer an dem festhält, an dem sie schon immer festgehalten hat, sondern weil sie an der Spitze der Modernisierung und des Fortschritts steht. Dass sich Parteien auch mit der Gesellschaft entwickeln können, ohne ihren Kern zu verraten, ist eine wichtige Grundlage.



domradio.de: Kritiker, vor allem aus den Reihen der SPD, sprechen von einem "Placebo-Mindestlohn", sie bemängeln, dass die Mindestlöhne nur für die Bereiche vereinbart werden, in denen es bisher keine tariflichen Regelungen gibt. Wäre ein Mindestlohn für alle nicht fairer?

Klöckner: Erst mal beruhigt mich das, wenn Rot-Grün das Ganze kritisiert. Das zeigt auch ganz deutlich, dass wir unterschiedliche Ansätze haben. Was Rot-Grün fordert, hätten sie in den sieben Jahren ihrer Regierung ja machen können. Da gab es weder eine Weiterentwicklung in den Bereichen, wo es keine Tarifbindung gab, noch den gesetzlichen Mindestlohn. Warum? Weil auch Rot-Grün eingesehen hat, dass dadurch die Tarifautonomie, d.h. dadurch auch die Hoheit der Tarifpartner und dadurch die Soziale Marktwirtschaft über Bord geworden würde. Ein ganz konkretes Beispiel: Wir haben einen Mindestlohn in der Gastronomie in Brandenburg, der liegt um die 6,20 Euro. Der ist in Baden-Württemberg etwa bei 9,80 Euro. Wenn wir jetzt sagen, wir machen einen Mindestlohn von 7,50 Euro, dann hätten wir in Baden-Württemberg weniger, da würden sich die Arbeitgeber freuen. Und in Brandenburg wäre es mehr. Und da wäre die Frage: Wie ist hier noch die Wettbewerbsfähigkeit? Da gehört ein Stück mehr Lebenspraxis dazu. Und wenn Arbeitnehmervertreter sagen: Gebt uns doch die Chance, einen Arbeitsplatz zu halten! Was hilft uns ein Mindestlohn für einen Arbeitsplatz, der nicht mehr da ist?



Das Gespräch führte Christian Schlegel.

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