Vorerst keine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz

In die nächste Runde

Dass die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz noch länger braucht, war absehbar. Der erste Kompromiss verdeckte nur grundlegende Unterschiede im Verständnis von Elternrechten und staatlichen Eingriffsmöglichkeiten.

Autor/in:
Christoph Scholz
Schulkinder mit medizinischem Mundschutz / © David Tadevosian (shutterstock)
Schulkinder mit medizinischem Mundschutz / © David Tadevosian ( shutterstock )

Es war ein Scheitern mit Ansage. Spätestens nach der Expertenanhörung im Bundestag war klar, dass die Verankerung eigener Kinderrechte im Grundgesetz keine Chance auf die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat haben würde.

Erwartungen und Ansprüche der Koalitionspartner liegen in grundsätzlichen Fragen zu weit auseinander. Einig war und ist man sich im Anliegen, Kinderrechte zu stärken und sie besser zu schützen.

Der Dissens liegt in der Frage, wie dies am besten zu gewährleisten ist.

Es war ohnehin überraschend, dass das Vorhaben überhaupt Eingang in den Koalitionsvertrag fand. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) legte den Gesetzentwurf spät vor, und der anschließende Kompromissvorschlag, den die CDU erstritt, stieß nicht nur in der Opposition auf Kritik.

Lambrecht "tief enttäuscht"

Nach der Regierungsvorlage sollte im Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz folgender Abschnitt hinzufügt werden: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt." Die CDU wollte mit dem letzten Satz die Elternrechte eigens bekräftigen.

Lambrecht äußerte sich nun auch persönlich "zutiefst enttäuscht". Sie wollte dem Projekt, das sie als "historische Chance" bezeichnete, zusätzlich Gewicht verleihen: "Ich bedauere zutiefst, dass der Streit über Detailfragen eine Einigung bei diesem so wichtigen Vorhaben verhindert hat." In zehn Verhandlungsrunden hatte sie versucht, mit der Union eine Einigung zu finden, die zugleich die Vorstellungen von Grünen und FDP berücksichtigt, um die Zweidrittelmehrheit abzusichern.

Für die Union ging es dabei allerdings nicht nur um Detailfragen, sondern um das "wohl austarierte Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat". Ziel sei es gewesen, "dass Kinderrechte in der Verfassung sichtbar geworden wären, ohne die Rechte von Eltern zu schmälern", sagte der Stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion Thorsten Frei (CDU): "Überlegungen, zusätzlich zu Kinderrechten noch ein weiteres Staatsziel zu verankern", hätten dann aber "den Bogen überspannt".

Neben Grünen, FDP und Linkspartei, die eigene Vorlagen erarbeitet hatten, forderten Verbände wie das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund oder das UN-Kinderhilfswerk Unicef eine besondere Verankerung. Sie sehen darin nicht zuletzt eine Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Dabei geht es etwa um eine stärkere Rechtsposition von Kindern oder die Beteiligung von Minderjährigen an politischen Entscheidungen, die sie betreffen.

Skepsis bei Verfassungsrechtlern

Bei der Expertenanhörung begrüßten die Experten das Anliegen, aber vor allem Verfassungsrechtler äußerten sich skeptisch zu den Entwürfen. Wie schon bei früheren Gesetzesinitiativen betonten sie, dass Kinder bereits Grundrechtsträger seien wie alle anderen Menschen. Eine besondere Erwähnung eigener Rechte und bestimmter Aspekte sei deshalb entweder überflüssig oder könne bei Auslegung zu Umdeutungen bis hin zur Schwächung der Kinderrechte führen.

Berechtigte Schutzanliegen könnten jederzeit einfach rechtlich geregelt werden.

Der Kieler Rechtswissenschaftler Florian Becker verwies darauf, dass laut Bundesverfassungsgericht die UN-Kinderrechtskonvention ohnehin als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Grundgesetzes herangezogen werden könne. Auch der Familienbund der Katholiken hatte frühzeitig vor "Symbolpolitik" gewarnt, die "sich möglicherweise zum Nachteil des Erziehungsrechtes der Eltern auswirken könnte".

Die Union sah schließlich ihre Befürchtungen bestätigt, dass es "letzten Endes um ein anderes Verständnis des Verhältnisses von Staat, Eltern und Kindern zueinander" gehe. "Die staatliche Lufthoheit über den Kinderbetten, wie sie SPD und Grüne wollen, ist mit uns nicht zu machen", betonte Frei. Lambrecht versicherte wiederum, dass die SPD sich weiterhin für eine besondere Verankerung einsetzen werde. Damit dürfte die inzwischen Jahrzehnte währende Auseinandersetzung irgendwann in die nächste Runde gehen.


Quelle:
KNA