Die Bonner Afghanistan-Konferenz macht Hilfe von Reformen abhängig

Versprechen auf Gegenseitigkeit

Afghanistan steht vor einer Zäsur: Die internationalen Kampftruppen ziehen bis 2014 ab. Die Staatengemeinschaft richtet ihre Hilfe neu aus. Aber auch Kabul steht in der Pflicht, wurde auf der Bonner Afghanistan-Konferenz betont. Am Rande der Konferenz wurde gegen den Krieg am Hindukusch protestiert.

Autor/in:
Ann Kathrin Sost
 (DR)

Nichts ist gut in Afghanistan? Den umstrittenen Satz der früheren hannoverschen Bischöfin Margot Käßmann würde Präsident Hamid Karsai so nicht stehen lassen. Auf der Afghanistan-Konferenz in Bonn listet er vor den rund 1.000 Delegierten Erfolge von zehn Jahren auf:

Unter den Taliban waren Frauen vom öffentlichen Leben komplett ausgeschlossen, sagt Karsai.



Jetzt hingegen beträgt der Frauenanteil im Parlament 27 Prozent, knapp 40 Prozent an den Universitäten. Knapp zwei Drittel der Afghanen haben Zugang zu Gesundheitsdiensten - 2002 waren es neun. 8,4 Millionen Kinder gehen zur Schule - 2002 waren es eine Million.



Anhaltende Unsicherheit durch Terror, Korruption, verbreitete Armut

Genau zehn Jahre nach der ersten Afghanistan-Konferenz lassen sich Fortschritte am Hindukusch klar messen. Doch die Herausforderungen sind nicht geringer geworden: Anhaltende Unsicherheit durch Terror, Korruption, verbreitete Armut. Überschattet wird das Treffen überdies von der Absage Pakistans, das eine Schlüsselrolle in der Region spielt. Das Land blieb aus Protest gegen einen NATO-Luftangriff fern, bei dem 24 seiner Soldaten getötet wurden.



Die internationale Gemeinschaft sucht jetzt nach neuen Antworten auf Afghanistans Probleme. 2001 fielen die Entscheidungen unter dem Eindruck der Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September. Es ging vorrangig um die Aufstellung der Internationalen Schutztruppe ISAF, erst in zweiter Linie um den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft in Afghanistan.



Das hat sich grundlegend geändert. Es gibt keine militärische, nur eine politische Lösung für das Land am Hindukusch, konstatiert Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Viel ist bei den Statements der Außenminister auf der Konferenz von einem "Wendepunkt" der internationalen Beziehungen mit Afghanistan die Rede: Bis 2014 soll die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übergeben werden, für die zehn Jahre danach sichert die Welt Unterstützung vor allem beim Wiederaufbau und der Stärkung der demokratischen Strukturen zu. Im Abschlussdokument ist von einem "Jahrzehnt der Transformation" die Rede.



Kosten ungewiss

Was das kosten soll, bleibt ungewiss. US-Außenministerin Hillary Clinton stellt aber klar, dass es um den effektiven Einsatz der Ressourcen gehen müsse - denn auch in der internationalen Gemeinschaft herrschen bekanntlich Finanzprobleme. 2012 sollen bei einer Geberkonferenz in Tokio konkrete Zusagen gemacht werden.



Westerwelle prägt einen Begriff für das weitere Vorgehen: "Mutual credible commitments", in etwa: gegenseitige Verpflichtungen, die auch eingehalten werden. Unterstützung soll es nur geben, wenn Afghanistan auch liefert. Karsai sagt entsprechend einen stärkeren Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit zu, räumt Defizite bei der Regierungsführung ein und verspricht freie und faire Wahlen.



Was gut klingt, überzeugt nicht jeden. Es sei zwar wichtig, die afghanische Regierung zu Fortschritten zu verpflichten, sagt Thomas Ruttig vom "Afghanistan Analyst Network": "Solche Zusagen hat sie aber bisher auf jeder Konferenz gemacht, und zugleich ist die Reformbereitschaft eher gesunken."



Eine Generationenaufgabe

Die Kritik an Karsais Amtsgebaren wird seit einiger Zeit immer lauter - am Tag der Konferenz berichtete die "Bild"-Zeitung, dieser wolle die Verfassung ändern und eine dritte Amtszeit nach 2014 durchsetzen, was ein Sprecher zwar umgehend dementierte. Dennoch:

Ruttig drängt vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen darauf, die Rolle der Zivilgesellschaft zu stärken. Sie könne "Korrektiv" der Regierung sein und sie zugleich unterstützen.



Immerhin konnten in Bonn zwei Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft vor dem Plenum sprechen - ein Novum. Robert Lindner von der Hilfsorganisation Oxfam sieht im Auftritt der beiden eine Aufwertung, auch wenn sie kaum über Symbolik hinausgehe. Wie weit die Bonner Konferenz trägt und welche Rolle die Zivilgesellschaft künftig erhalte, zeige sich ohnehin erst in der Praxis, sagt er. Dass es beim "Jahrzehnt der Transformation" bleibt, daran zweifelt Lindner jedenfalls: "Man könnte auch von einer Generationenaufgabe sprechen."



Kriegsgegner protestieren

Die Afghanistan-Konferenz ist von mehreren Protestaktionen begleitet worden. Etwa 70 Kriegsgegner gingen an Bord eines Protestschiffes und passierten auf dem Rhein mehrmals den Konferenzort. Sie erklärten die Regierungskonferenz "von vornherein für gescheitert". Bereits am Morgen waren die Delegierten am Straßenrand mit Trillerpfeifen und Transparenten empfangen worden. Das gesamte Wochenende hatte es Kundgebungen und Protestaktionen gegeben. Bei einer Großdemonstration waren am Samstag rund 4.500 Teilnehmer auf die Straße gegangen.



Die Friedensaktivisten stünden "stellvertretend für die gesamte Friedensbewegung und eine breite Mehrheitsmeinung gegen den Afghanistan-Krieg", sagte der Geschäftsführer des Netzwerkes Friedenskooperative, Manfred Stenner. "Die Friedensbewegung war zwar nicht in gewünschter Masse, dafür aber auf gehaltvolle Weise präsent", sagte er.



Frauenrechte stärken

Die Generalsekretärin von Pax Christi, Christine Hoffmann, bemängelte, dass die Situation der afghanischen Frauen zu sehr aus den Augen der Politik gerate. Die Frauen seien durch sexuelle Übergriffe der Polizei und ein nicht funktionierendes Justizsystem bedroht. Sie säßen im Gefängnis, weil sie vor häuslicher Gewalt fliehen müssten und ihre in der afghanischen Verfassung verbrieften Rechte nicht in Anspruch nehmen könnten. Auch hier habe der Afghanistan-Einsatz zur Durchsetzung von Frauenrechten keine Besserung gebracht.



Frieden und Stabilität brauche die notwendigen Voraussetzungen, erklärte Rainer Braun als einer der Sprecher des Protestbündnisses. Dazu zähle der sofortige Abzug aller Interventionstruppen und ein sofortiger Waffenstillstand, die Unterstützung ziviler Projekte sowie der Dialog mit allen am Konflikt beteiligten Parteien. Wenn die Taliban, die ethnischen Gruppen Afghanistans und die unmittelbaren Nachbarn Iran, Pakistan, Indien sowie ehemalige Sowjetrepubliken wie Kasachstan nicht mit am Verhandlungstisch säßen, könne kein wirklicher Frieden entstehen.



Im Vergleich zur Großdemonstration am Samstag fielen die Kundgebungen am Konferenztag allerdings klein aus. Die Polizei war seit Freitag mit insgesamt 4.000 Beamten im Einsatz. Zahlreiche Absperrungen sorgten für Verkehrsprobleme und Staus in der Innenstadt. Über dem Konferenzort, dem World Conference Center Bonn (WCCB), kreisten Hubschrauber. Nach Polizeiangaben verliefen die Proteste weitgehend friedlich.