Vor 80 Jahren starb Deutschlands letzter Kaiser

Die Axt im Walde

"Psychopath", "Narr", "Vorbote Hitlers": Zumeist fällt das Urteil der Nachwelt über Wilhelm II. wenig schmeichelhaft aus. So oder so - immer noch weckt Deutschlands letzter Kaiser, vor 80 Jahren gestorben, Emotionen.

Kaiser Wilhelm II. (epd)
Kaiser Wilhelm II. / ( epd )

In fortgeschrittenem Alter rückte Wilhelm II. den Bäumen zu Leibe. Auf Haus Doorn, seinem niederländischen Exil, kümmerte sich Deutschlands letzter Kaiser höchstpersönlich um die Gartengestaltung. Und ließ für seinen Park den Bestand an größeren Gehölzen ordentlich ausdünnen. Regelmäßig griff der Monarch selbst zur Säge. Die eindrucksvollen Stapel an Brennholz, "mit der Hand gesägt und von den Herren Seines Dienstes gespalten", gingen meist an bedürftige Familien der Umgebung. Vor 80 Jahren, am 4. Juni 1941, senkte sich Stille über Haus und Hof. Wilhelm II. starb, 82-jährig, mitten in jenem Zweiten Weltkrieg, von dem Kritiker des Kaisers sagen, er habe den Weg dorthin mit seiner Politik gebahnt.

Zwar urteilen renommierte Historiker wie Christopher Clark inzwischen differenzierter. Doch Wilhelm, der von 1888 bis 1918 erster Mann im Deutschen Reich war und als solcher die Geschicke der "nervösen Großmacht" wesentlich mitbestimmte, bleibt ein schwer zu fassender Charakter. Einerseits pflegte er wochenlang in geselliger Runde auf seiner Yacht "Hohenzollern" auf Nordland- oder Mittelmeerfahrt zu gehen und entzog sich damit dem politischen Tagesgeschäft. Andererseits konnte er seine Admiräle in schneidigem Kasernenhofton anherrschen: "Ihr wisst alle gar nichts. Nur ich weiß etwas, nur ich entscheide."

In langer Tradition

In der Außenpolitik dachte der Kaiser in dynastischen Kategorien früherer Jahrhunderte. Zeit seiner Regentschaft versuchte der Herrscher aus dem Hause Hohenzollern, über die verwandtschaftliche Bande zu spielen. Legendär die Schreiben an seinen Vetter "Nicky", den russischen Zaren Nikolaus II.; Nibelungentreue bewies er gegenüber seiner Großmutter, der britischen Queen Victoria - bevor die "Blankovollmacht" für Österreich-Ungarn den Kontinent nach dem Attentat von Sarajevo 1914 erst in die Juli-Krise, dann in den Ersten Weltkrieg stürzte. War Wilhelm aber deswegen ein Mann von gestern?

Was den rasanten Wandel in Industrie und Technik anbelangt, so hatte der Mann mit dem nach oben gezwirbelten Schnauzbart durchaus einen Riecher. Das manifestierte sich nicht nur in seiner Marine-Begeisterung, die schlussendlich allerdings in ein verhängnisvolles Wettrüsten mit den Briten mündete. Bei Hofe interessierte man sich früh für die Möglichkeiten der damals neuen Medien Foto und Film. Gern ließ sich Wilhelm bei strahlendem Sonnenschein - dem sprichwörtlichen Kaiserwetter - in Szene setzen.

Die Axt im Walde

Futter für die Journaille boten auch seine öffentlichen Auftritte, bei denen er sich oft und gern in freier Rede erging - mit sehr unterschiedlicher Wirkung. "Die große Redegewandtheit und Art und Weise Eurer Majestät üben auf die Zuhörer und Anwesenden einen bestrickenden Einfluss", schrieb ihm sein Berater Philipp Graf Eulenburg-Hertefeld 1892. "Bei der kühlen Beurteilung des Inhalts" ergebe sich jedoch ein anderes Bild. Im Klartext: Nicht selten wirkten Wilhelms Worte wie die Axt im Walde.

Deutlich wurde das etwa bei der berühmten "Hunnenrede", mit der er 1900 die deutschen Soldaten auf die Niederschlagung des Boxer-Aufstandes in China einstimmte: "Pardon wird nicht gegeben." Wie die Hunnen mit kompromissloser Kriegführung einst Angst und Schrecken in Europa verbreitet hätten, "so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen". Zweifellos trug der Kaiser auf diese Weise dazu bei, das ohnehin schon vergiftete politische Klima im Vorfeld des Ersten Weltkriegs weiter anzuheizen.

Der Mensch Wilhelm II.

Zeugnisse aus seinem privaten Umfeld lassen einen Menschen erahnen, der sich nach Anerkennung sehnte, bei allem persönlichen Versagen vielfach von guten Geistern verlassen war und in klaren Momenten um die Schwächen seiner Stellung wusste. "Leider ist unsereins so oft dazu verdammt, nichts als Schmeicheleien und Intrigen zu hören." Im Exil pflegte der Protestant die morgendliche Andacht als festes Ritual. Mit seinem Gewissen schien er weitestgehend im Reinen zu sein. Seine sterblichen Überreste, so verfügte Wilhelm II., sollten in Doorn verbleiben - bis Deutschland wieder eine Monarchie sei.

Joachim Heinz


Quelle:
KNA