Deutsche Synagogen wirken nach Hamas-Angriff deutlich leerer

"Stimmung war gedrückt und verhalten"

Die Nachrichten und Bilder aus Israel erschrecken. Sie zeigen massiven Raketenbeschuss, Leichen auf den Straßen und grauenhafte Geiselnahmen. Der Hamas-Angriff überschattet den jüdischen Feiertag Simchat Tora – auch in Deutschland.

Autor/in:
Leticia Witte
Rundes Fenster und ein siebenarmiger Leuchter mit Davidstern in der Synagoge der Synagogen-Gemeinde Köln am 3. März 2019 / © Julia Steinbrecht (KNA)
Rundes Fenster und ein siebenarmiger Leuchter mit Davidstern in der Synagoge der Synagogen-Gemeinde Köln am 3. März 2019 / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Normalerweise ist es ein Fest der Freude: das jüdische Simchat Tora. Dann endet und beginnt der jährliche Zyklus der Lesung aus der Thora. Sie steht im Mittelpunkt, Kinder werden in das Fest eingebunden und freuen sich auch über Süßigkeiten.

Israelisches Sicherheitskabinett erklärt offiziell Kriegszustand

Israel befindet sich jetzt offiziell im Krieg. Das Sicherheitskabinett der israelischen Regierung hat Samstagnacht den Kriegszustand und die damit verbundene Einleitung militärischer Maßnahmen gebilligt, wie das israelische Regierungspressebüro am Sonntagnachmittag mitteilte.

Es beruft sich dabei auf Artikel 40 des israelischen Grundgesetzes. Dieses legt fest, dass der Beginn eines Kriegs oder entsprechender militärischer Operationen nur aufgrund eines Regierungsbeschlusses erfolgen dürfen.

Ein Gesamtbild der Zerstörung nach dem tödlichen Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Sderot am zweiten Tag des andauernden Konflikts zwischen Israel und der militanten palästinensischen Gruppe Hamas / © Ilia Yefimovich (dpa)
Ein Gesamtbild der Zerstörung nach dem tödlichen Angriff auf eine Polizeistation in der Stadt Sderot am zweiten Tag des andauernden Konflikts zwischen Israel und der militanten palästinensischen Gruppe Hamas / © Ilia Yefimovich ( dpa )

Unter dem Eindruck der massiven Angriffe der Hamas auf Israel am Samstag zeigt sich in Gottesdiensten in Deutschland an einigen Orten jedoch ein anderes Bild.

Hinzu kommt die Sorge des Zentralrats der Juden um die Sicherheit von Synagogen und jüdischen Einrichtungen hierzulande.

Verhaltene Freude am Feiertag

Rabbiner und Gemeindemitglieder berichten über gedrückte Stimmung und höchstens verhaltene Freude in Gottesdiensten am Samstagabend zu Beginn des Feiertags. Zumal etliche Menschen Familie, Freundinnen und Freunde in Israel haben.

Es ist zu hören, dass deutlich weniger Menschen in Synagogen kommen – was in kleinen Gemeinden dazu führen kann, dass die für einen Gottesdienst nötige Anzahl von zehn Betern, der Minjan, überhaupt nicht zustande kommt.

So etwa in der Jüdischen Gemeinde Bonn. Still ist es am Samstagabend in der Straße, in der die Synagoge liegt. Vor dem Gebäude brennt eine Kerze.

Es herrschte mehr Trauer als Freude

Am Vormittag des Ruhetags Schabbat sei noch eine ausreichende Anzahl an Männern für einen Gottesdienst zusammengekommen, sagt ein Gemeindemitglied, das namentlich nicht genannt werden möchte.

Am Abend habe sich jedoch kein Minjan gebildet, so dass der Gottesdienst nicht wie üblich habe gefeiert werden können. Auch seien nur wenige Kinder dabei gewesen.

Es habe mehr Trauer als Freude geherrscht. Und: "Der Vorbeter hat für die Opfer in Israel und die Armee gebetet."

Die Menschen beten und sind verunsichert

In größeren Gemeinden fehlt es zwar nicht an Beterinnen und Betern, aber auch dort ist es kein normaler Feiertag. "Die Menschen sind verunsichert", sagt Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Kölner Synagogen-Gemeinde und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Synagoge in Köln / © Julia Steinbrecht (KNA)
Synagoge in Köln / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Am Samstagabend seien 90 bis 100 Menschen anwesend gewesen, weniger als sonst. Auch hier: "Viele Kinder sind ferngeblieben."

Zum Thema Sicherheit möchte sich Lehrer nicht äußern, sagt aber: "Wir sind in gutem Kontakt mit der Kölner Polizei."

Rabbiner berichtet von gedrückter und verhaltener Stimmung

Von schätzungsweise 40 Männern und Frauen am Abend in der Berliner Synagoge Sukkat Schalom spricht Rabbiner Andreas Nachama, der erster stellvertretender Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz ist.

Normalerweise sei doppelt so viel los. "Die Stimmung war gedrückt und verhalten."

Ein Mann steht im Gebetsraum der Synagoge Sukkat Schalom am 11. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis (KNA)
Ein Mann steht im Gebetsraum der Synagoge Sukkat Schalom am 11. Februar 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis ( KNA )

Vor Beginn des Feiertags teilte der Zentralrat der Juden auf X mit: "Die polizeilichen Maßnahmen vor jüdischen Einrichtungen werden bundesweit erhöht. Damit wird auf die abstrakt hohe Gefährdung reagiert."

Terrorkrieg von Hamas und Hisbollah "an Grausamkeit kaum zu überbieten"

Es sei alles dafür zu tun, dass die Gottesdienste zu Simchat Tora störungsfrei verlaufen könnten. "Weiterhin gilt: Keine Gewalt, keine Ausschreitungen und kein Hass auf deutschen Straßen."

Israelis inspizieren die Trümmer eines Gebäudes, einen Tag nachdem es von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde / © Oded Balilty/AP (dpa)
Israelis inspizieren die Trümmer eines Gebäudes, einen Tag nachdem es von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde / © Oded Balilty/AP ( dpa )

Das Fest dauert bis Sonntagabend. Am Vormittag dankt der Zentralrat als Dachverband von jüdischen Gemeinden in Deutschland für die Solidarität und spricht von einem schnellen Handeln der Sicherheitsbehörden zum Schutz jüdischer Einrichtungen.

"Der Terrorkrieg der Hamas und der libanesischen Hisbollah gegen Israel ist an Grausamkeit kaum zu überbieten", so der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster.

"Die Gefährdung für jüdische Einrichtungen auch hier in Deutschland zeigt, dass es den Terroristen nicht allein um Israel geht, sondern dass jüdisches Leben überall von ihnen in Frage gestellt wird."

Hamas und Hisbollah

Die Hamas und die Hisbollah sind radikalislamische Organisationen im Nahen Osten, zu deren verbindenden Hauptzielen die Bekämpfung und Vernichtung des Staates Israel gehört.

Die Palästinensergruppe Hamas wurde nach Beginn der Ersten Intifada 1987 gegründet. Der Name steht als Abkürzung für "Organisation des islamischen Widerstands", bedeutet auf Arabisch aber auch "Eifer" oder "Kampfgeist". Sie ist aus dem palästinensischen Zweig der fundamentalistischen Muslimbruderschaft hervorgegangen und entstand in Opposition zur kompromissbereiteren Fatah bzw. PLO von Jassir Arafat.

Die Hamas mobilisiert (dpa)
Die Hamas mobilisiert / ( dpa )
Quelle:
KNA