In der Türkei hat der Prozess gegen säkulare Extremisten begonnen

"Tiefer Staat", stiller Prozess

Mit großem Eklat und Medienaufwand hat in der Türkei der Prozess gegen hochkarätiger Militärs und Politiker begonnen. Den Angeklagten wird vorgeworfen den Umsturz der Regierung geplant zu haben. Die Angeklagten stehen für das, was man in der Türkei den "tiefen Staat" nennt: Nationalistische Kreise, denen nicht an der Öffnung des Landes nach Europa liegt. Sie bekämpfen Islamistan und alles Untürkische, erläutert Otmar Oehring von missio.

 (DR)

In diesem „tiefen Staat" werden auch die Hintermänner des Mordes am italienischen Priester Andrea Santoro vermutet, der Anfang 2006 in der türkischen Hafenstadt Trabzon umgebracht wurde. Otmar Oehring vom kirchlichen Hilfswerk „missio" ist in Ankara aufgewachsen. Im Interview mit Radio Vatikan sagte der Menschenrechts-Experte:

„Es war bisher schon klar, dass natürlich nicht Islamisten hinter diesen ganzen Attentaten auf Christen und auch hinter den ganzen geplanten Attentaten, die glücklicherweise nicht durchgeführt worden sind, stecken. Man hat immer vom ,tiefen Staat' geredet - das sind große Teile des Sicherheitsapparats, Polizei, Geheimdienst, Militär, das ist gleichzeitig aber auch die kemalistische Bürokratie, die für sich in Anspruch nimmt, ,säkular' zu sein."

Nur dass diese „Säkularität" nichts mit dem zu tun hat, was man in Europa darunter versteht. Stattdessen richtet sich der Begriff „säkular" bei diesen nationalistischen Kreisen gegen islamische Kreise und gegen Minderheiten, die als „untürkisch" gesehen werden - zum Beispiel die Christen.

Vom "tiefen Staat" sei in der Türkei seit Jahren gesprochen worden. Erst jetzt habe die  AKP-Regierung den Mut gefunden, gegen diese Gruppen vorzugehen, erläutert Oehring. "Der ,tiefe Staat' selbst hat aber im Grunde genommen das ausgelöst, was jetzt passiert und was seinen Höhepunkt findet in dem Prozess, der am 21. Oktober gegen die Ergenekon-Gruppe begonnen hat - dadurch, dass er (das Militär, der Sicherheitsapparat, die Nationalisten insgesamt) versucht haben, die Parlamentswahlen in ihrem Sinn zu beeinflussen, und zwar mit absolut undemokratischen Mitteln."

Der Prozess gegen Ergenekon wird von Menschenrechtsorganisationen aus dem Ausland mit Argusaugen beobachtet; schon die Anklageschrift erweckt bei einigen Beobachtern den Eindruck, dass nicht vollständig reiner Tisch gemacht werden soll. Die Mitglieder der Geheimgruppe sollen u.a. für die Hinrichtungen von drei christlichen Missionaren in Malatya im letzten Jahr mitverantwortlich sein.

„Das, was man jetzt in der Türkei im Zusammenhang mit diesen Ergenekon-Ermittlungen sieht, lässt zumindest vermuten, dass diese Gruppen einen Umsturz in der Türkei erreichen wollten und dass sie zweitens Unruhe dadurch erzeugen wollten, dass sie Attentate gegen Vertreter der ethnischen und der religiösen Minderheiten vorbereitet haben. Da gibt es ganze Listen von Personen, die aus der Sicht dieser Gruppierungen abgeschossen werden sollten - das Wort ist hier im Wortsinne zu verstehen."

Auf diesen Listen steht auch der Name des armenischen Patriarchen von Istanbul - und der des Ökumenischen Patriarchen, Bartholomaios I., der ebenfalls in Istanbul residiert. Der Prozess in Ankara wirft einen Schatten auf die Beitrittsgespräche, die die Türkei mit der Europäischen Union führt...