Der Tod der Koma-Patientin unterbricht den Streit um Sterbehilfe

Italien trauert um Eluana

Eluana Englaro ist tot. Es war ein schnelles Ende. Montagabend, nur einen Tag, nachdem die 38-Jährige im Pflegeheim "La Quiete" von Udine das letzte Mal Nahrung und Flüssigkeit durch ihre Nasensonde erhalten hatte, hörte ihr Herz auf zu schlagen. Selbst die Ärzte waren überrascht. Sie rechneten mit einem ähnlich langsamen Sterben wie bei der US-Koma-Patientin Terri Schiavo, die
2005 nach 13 Tagen verdurstete. "Eluana, der Leidensweg ist zu Ende", schrieb "La Repubblica" am Dienstagmorgen. "Sie haben sie getötet", titelte "Il Giornale". Ihr Tod hinterlässt ein Land in Spaltung.

 (DR)

Der Tod der Koma-Patientin Eluana Englaro hat den Streit über Sterbehilfe und den Konflikt zwischen Regierung und Staatspräsident in Italien weiter angeheizt. Ministerpräsident Silvio Berlusconi bezichtigte Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano, für den Tod der Norditalienerin mitverantwortlich zu sein. Der Präsident habe den Versuch der Regierung vereitelt, «ein Leben zu retten». Napolitano hatte sich geweigert, ein Regierungsdekret zu unterzeichnen, das die behandelnden Ärzte zwingen sollte, die abgebrochene der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr ihrer Patientin wieder aufzunehmen.

Die wechselhafte Geschichte der seit einem schweren Autounfall von 1992 im Koma liegenden Englaro bewegt seit Monaten die italienische Öffentlichkeit. Vater Giuseppe Englaro hatte in Jahre langem Justizstreit durchgesetzt, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen bei seiner Tochter ausgesetzt werden konnten.

Die Frage, ob die Umsetzung des höchstrichterlichen Urteils legitim sei, spaltete die politischen Lager. Nachdem auch innerhalb der Opposition Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils laut geworden waren, machte der Ministerpräsident den Fall zur Chefsache. Mit dem Argument, Eluana Englaro könne trotz ihres Komas ein Kind bekommen, warb er auf gewohnt Aufsehen erregende Weise für ein Regierungsdekret. Dies sollte die bereits begonnene Sterbehilfe unterbinden, obwohl der Staatspräsident Widerstand gegen ein entsprechendes Dekret angekündigt hatte.

Unmittelbar nach dem Tod der Betroffenen strich der Senat ein geplantes Eilgesetz über das Verbot des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen wieder von der Tagesordnung. Es hätte die Umsetzung des Gerichtsurteils in letzter Minute stoppen sollen. Im Gegenzug will das Parlament nun ein Gesetz über Patientenverfügungen verabschieden, das auch die katholischen Bischöfe des Landes für nötig erachten.

Der Streit über den Sterbehilfefall mag zur Klärung der Rechtslage bei Patienten mit unheilbaren Krankheiten und solchen im Endstadium beitragen, zugleich hat er Italien in eine beispiellose institutionelle Krise geführt. Verfassungsrechtlern zufolge bedrohte der Versuch der Regierung, einen Richterspruch per maßgeschneidertem Gesetz auszuhebeln, die Rechtsordnung. Die Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und Justiz werde überwunden, wenn ein Eilgesetz ein höchstinstanzliches Urteil aufhebe und der Regierungschef den Staatschef öffentlich delegitimiere, so die Rechtsexperten.

Einfluss des Vatikans
Wiederholte Versicherungen aus dem Vatikan, die katholische Kirche übe keinen Druck in der Sache aus, verstärkten den Eindruck, dass heftige Kritik von Bischöfen und Kurienkardinälen am Sterbehilfefall eine wichtige Rolle für das Vorgehen der Regierung spielte. Darüber konnte auch die Nachricht, es habe ein versöhnliches Telefonat zwischen dem Staatspräsidenten und dem zweiten Mann im Vatikan, Kardinal Staatssekretär Tarcisio Bertone, gegeben, nicht hinwegtäuschen.

Nach dem nun eingetretenen Tod der Patientin haben der Vatikan und die katholische Kirche Italiens zu Besinnung und Gebet aufgerufen. Vatikansprecher Federico Lombardi sagte am Montagabend, man müsse über neue Wege nachdenken, Schwerkranke «im nötigen Respekt vor dem Recht auf Leben» zu begleiten. Für Christen habe indessen der physische Tod «nicht das letzte Wort», so der Jesuit.

Kurienkardinal Javier Lozano Barragan bat in einer ersten Reaktion auf den Tod der Patientin um die Vergebung Gottes «für alle, die sie an diesen Punkt gebracht haben». Der Präsident des Päpstlichen Rats für Krankenpastoral verlangte Aufklärung darüber, ob der Tod Englaros durch den Abbruch der künstlichen Ernährung «oder aus anderen Gründen» erfolgt sei. Zugleich stellte er klar, dass Sterbehilfe entgegen anderen Stimmen nicht mit der Exkommunikation belegt sei.

Die Italienische Bischofskonferenz sprach in einer Erklärung von einem «Augenblick größten Schmerzes». «Die Gebete und Appelle zahlloser Menschen guten Willens haben nicht genügt, um ihr zerbrechliches Leben zu retten, das nur liebevolle Pflege nötig hatte», hieß es darin. Dabei bleibe die Hoffnung aller ungeschmälert, «die an die Würde der Person und an den unverfügbaren Wert des Lebens glauben». Die Bischöfe riefen dazu auf, sich weiter für das menschliche Leben in allen Phasen von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende einzusetzen.

In Englaros Heimatstadt Lecco versammelten sich nach ihrem Tod am Montagabend viele Menschen zu einer Messe. Der Gottesdienst, geplant als Solidaritätsbekundung für Englaro, sei zu «ihrer ersten Totenmesse» geworden, sagte Bischofsvikar Bruno Molinari. Mailands Erzbischof, Kardinal Dionigi Tettamanzi, rief in einer Botschaft zum Gebet um Weitsicht in der Sterbehilfe-Debatte auf. Nötig sei eine Lösung «jenseits der verschiedenen ideologischen Sichtweisen, juristischer und gesetzlicher Diskussionen, politischer Spannungen und medialer Verbissenheit».


Emotionale Debatte
Das Thema Sterbehilfe gelangte durch den öffentlichen Streit um ein Einzelschicksal auf die italienische Politik-Agenda. Vor dem Hintergrund von seit Monaten immer wieder veröffentlichten Fotos einer jugendlich sportlichen und attraktiven Eluana Englaro wird die Debatte hoch emotional geführt. Ein Austausch über Grundfragen und Sachaspekte des komplexen Themas kam dabei bislang nicht zustande. So droht der Gesetzentwurf über Patientenverfügungen, erneut im Parlament zu versanden, bis ein neuer Fall die Öffentlichkeit bewegt. Auch nach dem auf eigenen Wunsch vor zwei Jahren herbeigeführten Tod des unheilbar Kranken Piergiorgio Welby war eine Regelung für Patientenverfügungen in Italien gefordert worden.