Wachkoma-Drama wird zum Verfassungsstreit

Der Cavaliere will Eluana retten

Papst Benedikt XVI. hat zum Nachdenken über "den Sinn und den Wert der Krankheit" aufgerufen. Ohne auf den Fall der Eluana Englaro einzugehen, der die italienische Öffentlichkeit beherrscht, appellierte der Papst am Sonntag beim Angelus zum Gebet für die Kranken. Das Wachkoma-Drama entwickelt sich unterdessen zum Verfassungsstreit

 (DR)

Vielleicht gelingt Silvio Berlusconi der Coup: Im Eilverfahren will Italiens Ministerpräsident ein Gesetz durch die Instanzen peitschen, das den Abbruch einer künstlichen Ernährung bei nicht entscheidungsfähigen Personen verbietet.

Es geht um Eluana Englaro, Italiens populärste Patientin. Seit Sonntag erhält die Bewusstlose, die seit 17 Jahren durch eine Nasensonde versorgt wird, keine Nahrung und kein Wasser mehr.
Dienstag könnte der Gesetzesentwurf den Senat passieren. Gelänge der Plan, hätte der «Cavaliere» die Frau gerettet, von der ganz Italien nur die Bilder einer keck lachenden Zwanzigjährigen kennt. Das Land fiebert mit - und streitet.

Denn der Kampf um das Schicksal der Frau, die alle nur Eluana nennen, hat sich zu einer Machtprobe zwischen Regierung und Staatspräsident geweitet. Italiens Medien sprechen von einer Krise der Institutionen, wie sie selbst dieses Land seit langem nicht erlebt hat. Über die Fragen der Sterbehilfe hinaus ist der Fall Englaro in eine verfassungspolitische Debatte gemündet.

Berlusconi: Klärung über die Interpretation der Verfassung
Eröffnet hat sie Berlusconi. Vergangenen Freitag brachte sein Kabinett ein Gesetzesdekret auf den Weg, um - gegen ein höchstrichterliches Urteil - die Fortsetzung der Ernährung von Englaro zu erzwingen. Staatschef Giorgio Napolitano hatte Berlusconi gewarnt: Er werde das Dekret nicht unterzeichnen, weil ihm die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Notstandsregelung nicht gegeben schienen. Napolitano ist gegen Sterbehilfe, aber auch für Rechtsstaatlichkeit. Ein Gesetzesentwurf zu Fragen des Lebensendes liegt im Parlament, Napolitano besteht auf einem ordentlichen Verfahrensweg.

Dennoch trug der Premier das Dekret zum Quirinal; der Staatspräsident wies es ab. Jetzt hält Berlusconi eine «Klärung über die Interpretation der Verfassung» für geboten: Die Regierung müsse im Notfall weitere Machtbefugnisse haben. Dafür will der Premier sogar den Text der staatlichen Rechtsgrundlage abändern. Denn die Verfassung, so Berlusconi, trage ohnehin den Stempel «ideologisierter Kräfte, die seinerzeit die russische Verfassung als Modell ansahen».

Für seine Vendetta mit dem Staatsoberhaupt beruft sich Berlusconi auf seine Gewissenspflicht gegenüber Englaro. «Ich würde mich mit der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber einer Person in Lebensgefahr schuldig fühlen», erklärte Berlusconi. Eluana atme von selbst, ihr Gehirn sende elektrische Impulse, sie könne «theoretisch sogar ein Kind haben», so der 72-Jährige.

"Italien wird dunkler»
Der Cavaliere will für eine «Kultur des Lebens und der Freiheit» gegen einen tödlichen «Statalismus» zu Felde ziehen. Seinen Kampf führt er bislang ohne ausdrücklichen Segen der katholischen Kirchenleitung. Zwar sprach der Vorsitzende der nationalen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, von Euthanasie und Mord; «das Licht eines Lebens verlöscht, und Italien wird dunkler», sagte er. Notstandsgesetze erwähnte er jedoch mit keiner Silbe.

Auch sein Vorgänger Camillo Ruini war klug genug, sich nicht zu deutlich hinter Berlusconis Winkelzug mit dem Gesetzesdekret zu
stellen: Die Einwände, es handle sich um Machmissbrauch, seien ihm bekannt, sagte der politisch-erprobte Kardinal. Und schob nach:  Machtmissbrauch sei auch das gewesen, was die Richter praktiziert hätten, als sie ein Sterbehilfe-Urteil ohne Sterbehilfe-Gesetz gesprochen hätten. Auch Papst Benedikt XVI. selbst rief am Sonntag nur allgemein zum Gebet für Schwerstkranke auf, die «völlig auf die Pflege durch andere angewiesen sind».

Unterdessen hat Beppino Englaro in zwei Briefen Berlusconi und Napolitano nach Udine an das Krankenbett seiner Tochter gebeten. Es ist ein Appell «von Vater zu Vater». Englaro, der seit knapp zehn Jahren juristisch darum gekämpft, sein Kind sterben zu lassen, will kein politisches Beben, das Italien spaltet. Er will auch, dass sein eigenes Leiden ein Ende hat.