Der erste Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Im Namen der Welt

Thomas Lubanga wollte immer schon in die Geschichte eingehen, sagen Weggefährten. Doch so hat sich der ehemalige kongolesische Milizenführer seinen Auftritt im Scheinwerferlicht der Welt wohl kaum vorgestellt. Seit Montag ist er der erste Angeklagte, dem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den Prozess macht.

Autor/in:
Annette Birschel
 (DR)

Anklägerin Fatou Bensouda warf dem Ex-Befehlshaber zum Auftakt der Verhandlung vor, zwischen September 2002 und August 2003 Kinder unter 15 Jahre als Soldaten rekrutiert zu haben. Für diese Kriegsverbrechen will die Anklage bis zu 30 Jahre Haft fordern. Der 48-jährige Lubanga wies alle Vorwürfe zurück. Seine Verteidigerin erklärte, er plädiere auf unschuldig.

Während des vermutlich mehrere Monate dauernden Verfahrens will die Anklage ihre Vorwürfe mit rund 1.670 Dokumenten unterstützen und 34 Zeugen hinzuziehen, darunter mehrere ehemalige Kindersoldaten. Die Richter erkannten 93 Personen den Status von Opfern zu. Das Urteil fällen drei Richter: der Brite Adrian Fulford, die Costaricanerin Elisabeth Odio Benito und der Bolivianer Rene Blattmann.

"Kein großer Fisch"
Lubanga ist "kein großer Fisch", bemängeln Menschenrechtsorganisationen. Er ist einer von vielen Warlords (Kriegsherren) im zentralafrikanischen Kongo, und auch die Anklage wird als mager kritisiert. Lubanga sei für weitaus schlimmere Verbrechen verantwortlich, heißt es. Doch dass es überhaupt zu dem historischen Prozess kommt, wird allgemein begrüßt.

Lange hing das Strafverfahren am seidenen Faden. Im vergangen Jahr hatten die Richter zunächst die Freilassung Lubangas angeordnet, da der Verteidigung nicht alle Dokumente der Anklage vorlagen. Erst nach monatelangen Verhandlungen war der Weg frei. Die zähen und mühevollen Vorbereitungen zeigen die großen Probleme dieses ersten Weltgerichtes zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Der Chefankläger Luis Moreno Ocampo verfügt über keinen großen Ermittlungsapparat. Mühsam sammeln seine Mitarbeiter in den Konfliktgebieten Zeugenaussagen und Beweise - und sind dabei auf die Mitarbeit von oft widerstrebenden Behörden und internationalen Organisationen abhängig.

Arbeit auf einem politischen Minenfeld
Der Gerichtshof arbeitet zudem in einem politischen Minenfeld. Einerseits will die Staatengemeinschaft die Verantwortlichen für die schlimmsten Verbrechen verurteilen, auf der anderen Seite aber auch den internationalen Frieden wahren. Dieses Dilemma zeigt sich vor allem am Fall von Darfur. Chefankläger Moreno Ocampo hat im Juli 2008 einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir beantragt.

Doch selbst die Vereinten Nationen warnten, ein Prozess gegen Al-Baschir wegen Völkermordes in Darfur werde den Konflikt nur weiter anheizen. Die Richter haben dem Antrag auf Haftbefehl noch nicht stattgegeben. Doch selbst wenn sie es tun werden, ist es fraglich, ob Al-Baschir jemals in die Zellen des Gefängnisses im Haager Seebad Scheveningen einziehen wird.

Ankläger Moreno Ocampo verfügt über keine eigene Polizei und bleibt bei Fahndungen und Festnahmen auf die Hilfe der jeweiligen Länder angewiesen. "Die Staaten müssen uns viel wirksamer durch konkrete Festnahmeaktionen unterstützen", sagt der deutsche Richter am Strafgerichtshof, Hans-Peter Kaul. "Schöne politische Reden sind nicht genug." Wenn Haftbefehle gegen die mutmaßlich schlimmsten Verbrecher nicht vollstreckt werden können, laufe der Gerichtshof Gefahr, zum "Papiertiger" zu werden, warnt er.

Spielball schon bei der Gründung
Schon vor seiner Gründung war das Weltgericht ein Spielball politischer Interessen. Bereits vor 60 Jahren hatte die Staatengemeinschaft zwar ihren festen Willen betont, für Gerechtigkeit zu sorgen und vor allem die politisch Verantwortlichen für die schlimmsten Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch die Errichtung einer unabhängigen Instanz war im Kalten Krieg nicht denkbar.

Erst 1998 wurden dafür die "Statuten von Rom" verabschiedet. 108 Staaten haben diesen Grundlagenvertrag für den Strafgerichtshof bisher ratifiziert. Die USA waren jahrelang erklärte Gegner - aus Angst, dass auch amerikanische Staatsbürger belangt werden könnten. Erste Signale weisen daraufhin, dass der neue US-Präsident Barack Obama eine andere Position einnehmen wird. Mit Unterstützung der USA könnte der Gerichtshof gestärkt werden und den Grundsatz "gleiches Recht für alle" besser umsetzen.

Wenn die Annahme "Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen" nicht widerlegt werde, stehe die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, warnt Richter Kaul. Ein Anfang ist gemacht: Mit dem ehemaligen Vizepräsidenten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, sitzt bereits ein "großer Fisch" hinter Schloss und Riegel. Die Richter prüfen zurzeit, ob die Beweise gegen Bemba für einen Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausreichen. Schon bald könnte das Weltgericht seinen zweiten Prozess führen.