Der erste Polenbesuch eines russischen Präsidenten seit acht Jahren

Auf dem Weg zur Versöhnung

Jaroslaw Kaczynski ist für seine scharfen politischen Angriffe berühmt-berüchtigt. Seit neuestem nennt Polens national-konservativer Polarisierer den Präsidenten seines Landes "Komorusski" statt Komorowski. Hintergrund ist dessen Versuch einer Aussöhnung mit "Erbfeind" Russland. Nun empfängt Komorowski Kremlchef Medwedew. Kaczynski ist das ein Dorn im Auge.

 (DR)

Der Gipfel am Montag (06.12.2010) ist der erste Staatsbesuch eines russischen Präsidenten in Polen seit acht Jahren. Auf der Tagesordnung stehen gleich mehrere brisante Themen. Da ist die schleppende Untersuchung der Flugzeugtragödie im westrussischen Smolensk im April. Damals kamen bei dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine Staatschef Lech Kaczynski sowie 95 weitere hohe Repräsentanten der Nation ums Leben. Noch immer ist die Unglücksursache nicht vollständig geklärt.



Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des getöteten Präsidenten, erhebt immer wieder diffuse Vorwürfe gegen den russischen Geheimdienst, in die Katastrophe verwickelt gewesen zu sein. Tatsache ist, dass Moskau bei den Ermittlungen immer wieder gemauert hat. Komorowski will Medwedew zu mehr Entgegenkommen bei der gemeinsamen Untersuchung drängen, um das unangenehme Kapitel schnellstmöglich schließen zu können.



Ähnliches gilt auch für das Thema Katyn, das allerdings in historischen Dimensionen von weit größerer Tragweite ist. Der Name Katyn steht für eines der schlimmsten Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Im Frühjahr 1940 ermordete die sowjetische Geheimpolizei auf Befehl von Diktator Josef Stalin mindestens 22.000 polnische Offiziere, Geistliche, Intellektuelle und andere Angehörige der Elite des besetzten Landes und verscharrte sie in Massengräbern. Die deutsche Wehrmacht entdeckte die erste dieser Mordstätten 1943 in Katyn bei Smolensk.



Tiefe Wunde Katyn

Bis zum Untergang der Sowjetunion hielten der Kreml und die Satellitenregierung in Warschau an der Version fest, die Nazis hätten die Polen ermordet. In den 90er Jahren bekannte sich Moskau zwar zur Verantwortung Russlands. Aus polnischer Sicht blieben aber zahlreiche Fragen ungeklärt. Eine Entschädigung der Opfer-Angehörigen lehnten russische Gerichte mit der Begründung ab, die Taten seien verjährt. Auch ein symbolisches Zeichen der Sühne blieb aus. Noch immer sind zudem nicht alle Archivmaterialien zum Katyn-Massaker zugänglich. Medwedew, so wird vor dem Warschauer Gipfel gemutmaßt, könnte diese Dokumente am Montag im Gepäck haben und mit diesem Gastgeschenk zu einer weiteren Entkrampfung der Beziehungen beitragen.



Vor Wochenfrist hatte bereits die Staatsduma eine Resolution verabschiedet, in der das russische Parlament erstmals die Täterschaft Stalins unmissverständlich betonte. Weiter hieß es: "Wir reichen dem polnischen Volk die Hand zur Versöhnung." Genau das ist es, worum es Medwedew und Komorowski nun gehen dürfte - um eine weitere Annäherung der beiden Völker, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges entzweit hatten. Moskau wollte die Westanbindung Warschaus mit dem Beitritt zu NATO und EU lange Zeit nicht akzeptieren. Die junge polnische Republik aber fühlte sich durch diese Haltung erst recht gegängelt.



"Erste Schritte auf einem langen Weg"

Aus dem grundsätzlichen Misstrauen erwuchs Streit um konkrete politische Projekte. Der Kreml war empört, als sich Polen den USA als Standort für eine Raketenabwehr anbot, die man in Moskau als Bedrohung ansah. Umgekehrt war der Unmut in Warschau groß, als Russland mit Deutschland über die Köpfe der Polen hinweg den Bau der Ostsee-Pipeline aushandelte.



Diese und andere Streitthemen gehören inzwischen weitgehend der Vergangenheit an. Seit 2007, seit in Warschau der rechtsliberale Donald Tusk die Regierung führt - ein Parteifreund Komorowskis -, haben sich beide Seiten Schritt für Schritt angenähert. In einer "Kommission für schwierige Fragen" suchen polnische und russische Wissenschaftler, Diplomaten und Politiker seither nach einer gemeinsamen Sprache. Die vorsichtige Öffnung Russland zum Westen, die beim jüngsten NATO-Gipfel deutlich wurde, tut ein Übriges.



Allein Jaroslaw Kaczynski bedient in seinen Reden immer wieder antirussische Ressentiments. Vor einigen Wochen sorgte er mit der These für Wirbel, Russland und Deutschland würden Polen wie eine Kolonie behandeln, und die Regierung Tusk unterwerfe sich diesem Machtanspruch freiwillig. In Teilen der polnischen Gesellschaft fällt dies noch immer auf fruchtbaren Boden. Zu lange hat das Land unter russischer Herrschaft gelitten. Komorowski gibt sich deshalb vor seinem Treffen mit Medwedew zurückhaltend: "Wir wollen die ersten Schritte auf einem langen Weg gehen", sagte er.