Der Countdown für das Passionsspiel in Oberammergau läuft

Heiligenscheine in allen Größen

Allmählich wird es im Passionsspielort Oberammergau ernst. Noch wenige Wochen sind es bis zum 15. Mai. Dann heißt es nach zehn Jahren wieder: Vorhang auf für das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Anfang Januar hatte Spielleiter Christian Stückl erstmals zur Probe auf die Freilichtbühne geladen. Weder eisige Temperaturen noch regnerisches Wetter halten die Frauen und Männer seither davon ab, ihrer Verpflichtung zu folgen. Die Tradition wird in der oberbayerischen Gemeinde hochgehalten, seit die Bürger 1633 versprachen, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen, um die damals grassierende Pestseuche abzuwenden. Mit mehr als 2.500 Frauen und Männern wollen 2010 so viele Einwohner des 5.000 Seelen-Orts mitspielen wie nie zuvor.

Die diesjährigen Bühnenbilder hat Stefan Hageneier entworfen. Dazu gehören auch die 13 "Lebenden Bilder". Sie präsentieren analog zum Passionsgeschehen Szenen aus dem Alten Testament. In roten und gelben Tönen präsentiert sich "Die Vertreibung aus dem Paradies". Es ist Ende Februar, als diese Szene aufgebaut wird. Hoch oben soll der Erzengel Michael stehen. Seine Flügel mit einer Spannweite von gut vier Metern sind schon da und an einem Metallständer montiert - zu schwer wären sie sonst für einen Menschen. Bühnenplastiker Armin Hecht klettert in Jeans und Kapuzenpulli auf die schmale, wacklige Holzbank und mimt den Erzengel. Den passenden Heiligenschein kann er sich aussuchen. In den Größen Small, Medium und Large sind sie verfügbar.

Hageneier hat die Bilder vorsorglich in seinem Handy gespeichert. Nun will er aus dem Zuschauerraum heraus die Wirkung auf der Bühne testen. Dafür bekommt Hecht von einer Kollegin noch ein Flammenschwert in die rechte Hand gedrückt. "Nimm es in die andere", ruft der Bühnenbildner. Tatsächlich wirkt dies besser als vorher. Der sonst für deutsche und internationale Theater arbeitende Künstler ist eben Perfektionist. 1990 spielte der gebürtige Oberammergauer bei der Passion noch selbst einen Engel. Nach einer Holzbildhauerlehre, einer Assistenzzeit an den Münchner Kammerspielen sowie in New York, war er 2000 erstmals fürs das Bühnenbild der Passion verantwortlich.

In Schichten sitzen sie an den Industrienähmaschinen
Nur wenige Minuten vom Theater entfernt sind auf dem Werkstoffhof die Bildhauer am Werk. Die Schnitzschülerin Tonette Eberspacher lässt aus weißem Styropor eine riesige Schlage entstehen, die sich um einen Stab windet. Etwas über zwei Meter ist das Werk groß. "Bis zu drei Tagen brauche ich dafür schon", sagt Eberspacher. Am Tisch daneben sorgt Bühnenmaler Christian Huber dafür, dass eine andere Schlange die richtige braun-gelbe Farbe bekommt. Neue Holzkörbe müssen zudem mit ein paar Pinselstrichen auf Alt getrimmt werden.

Unter Druck stehen auch die 14 Schneiderinnen. Seit Mai 2009 sind die Frauen bei der Arbeit. In Schichten sitzen sie an den Industrienähmaschinen, wo etwa die Mäntel für den hohen Rat entstehen. Silvia Heinzeller näht an einer Baumwollhose. Ein Mitglied der Rotte wird sie später tragen. Auch prachtvolle Gewänder gingen schon durch ihre Hände. "Schwere Stoffe, die nicht immer angenehm zu tragen sind." Damit sich keiner der Darsteller ständig auf der Bühne kratzen muss, ist vorgesorgt: "Wir nähen ein Futter hinein." Auf dem Tisch vor Ingrid Jäger, der Leiterin der Schneiderei, liegen einstweilen die Zettel mit den Maßen der beiden Pilatus-Darsteller samt Telefonnummern. Von der Kopfgröße bis zum Wadenumfang ist alles notiert.

Am Nachmittag trifft auch Spielleiter Stückl ein. Gestenreich dirigiert er gleich die Männer auf der Bühne, die als ägyptische Soldaten den Israeliten durchs Rote Meer folgen: "Könnt Ihr mal die Arme hoch strecken und so tun, als ob Ihr ertrinken würdet?" Und schon scheint das Heer samt Streitwagen in den großen Wogen unterzugehen. Dazwischen gibt Stückl immer wieder Interviews für Journalistenteams aus aller Welt. Betreut werden diese von Jesus-Darsteller Fredrik Mayet. Der 29-Jährige ist nicht nur damit beschäftigt, sich auf die Rolle seines Lebens vorzubereiten, sondern organisiert parallel die Pressearbeit des Passionsspiels. Vor 2.000 Jahren war das noch anders: Da erledigten den PR-Job die Apostel und die Evangelisten.