Der Theologe Mödl über die Passion 2010

"Es hat sich einiges verändert"

In gut einem halben Jahr beginnen die Oberammergauer Passionsspiele. Vor zehn Jahren hatte besonders der auf die Juden gemünzte Satz "Mein Blut komme über euch und eure Kinder" Anstoß erregt. Diesmal haben die Verantwortlichen den Text mit jüdischen Organisationen abgestimmt. Der katholische Theologe Ludwig Mödl über seine Rolle als "kirchlicher Wauwau" der Passion.

 (DR)

KNA: Herr Professor Mödl, was wird bei der Passion 2010 anders?
Mödl: Christian Stückl und sein Dramaturg Otto Huber haben mit großem Einsatz an den Texten gefeilt. Die Figur Jesu bleibt gleich, nur die Personen in seinem persönlichen Umfeld wurden neu interpretiert. Ich bin dabei der 'kirchliche Wauwau' gewesen, wie Stückl mich gerne bezeichnet. Als solcher helfe ich ihm, auch gegen andere zu bellen, und sage ihm, ob etwas theologisch in Ordnung geht oder verändert werden muss.

KNA: Wann mussten Sie laut bellen?
Mödl: Überhaupt nicht. Schon wenn ich leicht gegrunzt habe, wussten die beiden, was los ist. Dann haben wir nach Kompromissen gesucht.  Stückl und Huber sind theologisch sehr fit. Die kennen sich in der Passionsgeschichte aus. Seit ihrer Kindheit reflektieren und studieren sie diese. Natürlich will Stückl manches dramatischer darstellen, weil er so die Botschaft Jesu besser rüberbringen kann.

KNA: Was muss dabei beachtet werden?
Mödl: Für das Theater muss quasi ein fünftes Evangelium geschrieben werden. Die Kirche hat wohlweislich vier Evangelien zugelassen und lässt auch ein fünftes zu, wenn es mit den anderen vieren kompatibel ist. Was in diesen zugrunde gelegt ist, wird nun mit den Mitteln des Theaters auf der Bühne dargestellt, und zwar für die Menschen von heute.

KNA: Was heißt das für das Jesus-Bild?
Mödl: Jesu erster Auftritt in der neuen Inszenierung ist nicht mehr im Tempel, wo er gewaltsam mit der Geißel die Händler hinaustreibt.
Stattdessen führt er sich mit kernigen Worten aus seiner Botschaft ein, darunter sind auch Zitate aus der Bergpredigt. Deutlich werden soll damit, was das Ziel seines Lebens und Sterbens ist. Nach Oberammergau kommen nämlich zunehmend auch Leute, die das theologische Hintergrundwissen nicht mehr haben. Der frühere Text war für Insider geschrieben, die jeden Sonntag in die Kirche gehen und mit der Bibel vertraut sind. Vieles ist heute aber nicht mehr selbstverständlich.

KNA: Und wie lautet die Botschaft?
Mödl: Die Botschaft von Jesus ist keine politische, sondern eine religiöse. Sie will den Menschen befreien aus der Knechtschaft dessen, was wir sündhaft nennen oder besser, was der Mensch als belastend empfindet. Die gespannte Atmosphäre im Spiel wird deutlich, weil von Anfang an die Römer im Hintergrund auftreten. Da herrscht keine Harmonie, in die der Gottessohn von außen kommt und den Menschen sagt: Alles wird gut. Im Gegenteil. Das politische Umfeld schreit danach, auch politisch erlöst zu werden. Doch Jesus sagt Nein. Es ist eine andere Erlösung notwendig, damit in einem zweiten Schritt sich politisch etwas ändert.

KNA: Wie wirkt sich das auf den Charakter des Pilatus aus?
Mödl: Pontius Pilatus kommt jetzt als zynischer, knallharter Politiker rüber. Historisch war er das wahrscheinlich auch. Er wäscht sich die Hände in Unschuld, weil die anderen für ihn das schmutzige Geschäft übernehmen. So macht er dem Kaiphas klar, dass dieser nur durch ihn Hoher Priester geworden ist und jetzt soll er eben auch für Ruhe sorgen.

KNA: Von jüdischer Seite kamen oft Bedenken gegenüber dem Passionsspiel. Wie war das dieses Mal?
Mödl: Für die großen jüdischen Verbände auf Weltebene, die in den USA sitzen, ist Oberammergau ein Symbol. Wenn ich es recht deute, wollen sie wissen, wie die Mehrheit der Deutschen, das heißt die die Christen, zum Judentum stehen. Aber nicht zum politischen, sondern zum kulturell-religiösen Judentum. Weiter ist ihnen wichtig, dass die jüdischen Elemente in der Passion Christi korrekt wiedergegeben werden. Denn der Initiator für das Spiel ist nicht eine Kirche, sondern eine politische Gemeinde. Das American Jewish Committee und die Anti-Defamation League hatten drei hochrangige Rabbiner mit einer Professorin als Übersetzerin nach Oberammergau geschickt. Die Texte wurden mit ihnen besprochen, damit das Jüdische auch adäquat dargestellt wird.

KNA: Woran haben sie sich am meisten gestoßen?
Mödl: Es gab dieses Mal keine großen Differenzen. Das war vor zehn Jahren anders. Damals ging es um den Satz "Mein Blut komme über euch und eure Kinder". 1990 war er geblieben, weil viele es so wollten. 2000 habe ich entschieden, den Satz zu streichen. Das Blutwort findet sich nur bei Matthäus, nicht aber in den drei anderen Evangelien, dann muss es auch nicht im "fünften Evangelium" stehen.. Außerdem ist es über die Jahre missdeutet worden. An dem Wort hängt so viel Blut, dass man es wohl mehrere Generationen lang nicht mehr verwenden kann. Für diese Argumentation waren die Juden und Oberammergauer sehr dankbar. Das ist vielleicht das einzige kleine Verdienst, das ich das letzte Mal hatte.

KNA: Was nehmen Sie für sich persönlich mit aus dieser Tätigkeit?
Mödl: Für mich hat sich einiges verändert. Ich sehe Pilatus, Kaiphas, aber auch Judas und Petrus noch einmal neu. Vor allem aber wurde mir klar, dass die Figuren im Umfeld Jesu für die Erkenntnis der Bibel viel wichtiger sind, als nur immer auf das Zentrum zu schauen. Das Drumherum interpretiert meist das Entscheidende. Wir Theologen sind aber oft in Gefahr, alles in das entscheidende Wort bringen zu wollen. Das macht manchen Gottesdienst und manche Predigt so langweilig. Ich kann nur empfehlen, sich das Oberammergauer Passionsspiel anzuschauen. Man muss sich schon sehr sperren, wenn man da nichts mitnimmt.