Der Berlinale-Beitrag "Sturm" beleuchtet die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Bosnien

Biegsame Wahrheit

Bis 2010 haben Ankläger und Richter Zeit, schwere Kriegsverbrechen aus den Jugoslawienkriegen vor den "Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien" zu bringen. Der deutsche Regisseur Hans-Christian Schmid ist dieser Frage in seinem Berlinale-Beitrag "Sturm" nachgegangen.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Solche Tribunale gehören zu den Meilensteinen bei der Durchsetzung der Menschenrechte. Doch wie steht es tatsächlich um die Durchsetzung der Gerechtigkeit, auf die Opfer in unzähligen Fällen bis heute warten?

Schmid setzt nicht abstrakt bei Effizienz oder Erfolg des Tribunals an. Ihn interessiert, wie schon in "Requiem", seinem Berlinale-Beitrag von 2006, das Einzelschicksal. Diesmal ist es Hannah Maynard (Kerry Fox), eine ehrgeizige Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, die den Prozess gegen Goran Duric (Drazen Kühn) erfolgreich abschließen will.

Widersprüche einer Frau
Der ehemalige Befehlshaber der jugoslawischen Armee steht in Den Haag vor Gericht, weil er in Kasmaj, einer Ortschaft der heutigen Republika Srpska, die Deportation und spätere Ermordung bosnischer Muslime befehligt haben soll. Doch der Kronzeuge gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher verstrickt sich in Widersprüche und nimmt sich schließlich das Leben. Die Anklägerin recherchiert eisern weiter und erfährt, dass dessen Schwester Mira Arendt eigentliche Zeugin des Verbrechens und selbst Opfer in einem Vergewaltigungs-Camp von Duric war.

Mira hat sich inzwischen in Berlin ein neues Leben aufgebaut und fürchtet um ihre ahnungslose Familie. Maynard gelingt es aber, Mira trotz aller offenen Drohungen von Durics Leuten zu einer Aussage zu überreden. Als es aber zur entscheidenden Verhandlung kommt, muss sie feststellen, dass sich ihr ganz andere Kräfte aus den eigenen Reihen in dem Weg stellen: Die Richterschaft befürchtet, eine Ausweitung der Anklage könnte am Zeitdruck bis mit 2010 scheitern; der EU-Beauftragte will die Beitrittsverhandlungen der Balkan-Staaten nicht gefährdet sehen.

"Uns haben die Widersprüche einer Frau interessiert, für die die Pflichterfüllung innerhalb der Institution immer oberstes Gebot war und die nun durch ihre Unnachgiebigkeit zur Außenseiterin zu werden droht", erläutert Schmid. "Sturm" ist ein spannendes Gerichtsdrama mit Elementen des Politthrillers. Dabei macht Schmid aber keine Konzessionen an das Genrekino. Er schlägt die Zuschauer durch den halbdokumentarischen Charakter seines Films in den Bann. Er verzichtet auf Rückblenden. Der traumatische Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart wird somit umso eindringlicher, wenn etwa Mira - überzeugend verkörpert von Anamaria Marinca - sich zur Zeugenaussage durchringt.

Aktueller kann Kino nicht sein
Der Film zeigt, wie sehr die Suche nach Gerechtigkeit äußeren Zwängen unterliegt, und wie abhängig die Wahrheitsfindung vom selbstlosen Einsatz der Ermittler wie der Zeugen ist. Diese Verbindung von individueller und politischer Perspektive verleiht der Aussage ihre Glaubwürdigkeit. "Integrität auf der einen und die Biegsamkeit der Wahrheit auf der anderen Seite - das ist das Spannungsfeld des Konflikts, in dem sich unsere Hauptfigur bewegt", meint Schmid. Damit ist auch das Spannungsfeld von Politik und Rechtfindung umrissen, in dem sich die Kriegsverbrechertribunale bewegen.

Die UN-Vetomächte China, Russland, die USA begegnen solchen Tribunalen mit wachsender Skepsis, ja mit Ablehnung. Ihre Sorge:
eigene Soldaten könnten in Den Haag auf der Anklagebank sitzen. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten wurde Radovan Karadzic gefasst und an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert. Aktueller kann Kino nicht sein.