Debatte um Haltung des Papstes zur Verhütung

Pille oder Kondom doch zulässig?

Schreibt Papst Franziskus gerade die kirchliche Sexuallehre zum Thema künstliche Empfängnisverhütung um? Und wie verbindlich und unauflöslich ist die bisherige kirchliche Lehre überhaupt dazu? In katholischen Kreisen wird debattiert.

Autor/in:
Severina Bartonitschek
Verhütungsmittel Antibabypille und Kondom / © Africa Studio (shutterstock)
Verhütungsmittel Antibabypille und Kondom / © Africa Studio ( shutterstock )

Mitte Juli veröffentlichte die Päpstliche Akademie für das Leben einen Sammelband unter dem Titel "Theological Ethics of Life. Scripture, Tradition, Practical Challenges" (Theologische Ethik des Lebens. Schrift, Tradition, praktische Herausforderungen) Darin: Essays zu einer Konferenz der Akademie im vergangenen Jahr. Führende Theologen sollten die katholische Bioethik - wie etwa die Enzykliken "Humanae vitae" und "Evangelium vitae" - im Zusammenhang mit der Theologie von Papst Franziskus betrachten. Laut Akademieleiter Erzbischof Vincenzo Paglia sollte ein "Dialog zwischen verschiedenen Meinungen auch zu kontroversen Themen" geschaffen und "viele Erkenntnisse zur Diskussion" gestellt werden.

Enzyklika "Humanae vitae"

Die am 29. Juli 1968 veröffentlichte Papstenzyklika "Humanae Vitae - Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens" ist bis heute grundlegend für das Nein der katholischen Kirche zur künstlichen Empfängnisverhütung. In dem Lehrschreiben, das auch als Antwort der Kirche auf die Antibabypille interpretiert wurde, formulierte Papst Paul VI. (1963-1978), dass "jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben" müsse.

Bischöfe empfehlen Verliebten die Enzyklika "Humanae Vitae" (dpa)
Bischöfe empfehlen Verliebten die Enzyklika "Humanae Vitae" / ( dpa )

Nun wird in dem Band unter anderem die Möglichkeit der Verwendung von Pille oder Kondom unter bestimmten Umständen wenigstens in Betracht gezogen. Gleiches gilt für das Thema der künstlichen Befruchtung.

Sowohl im Seminar als auch im Buch heißt es, dass ein Paar eine "weise Entscheidung" treffen kann, indem es auf empfängnisverhütende Mittel zurückgreift, "natürlich unter Ausschluss derjenigen, die abtreibend wirken", und zwar in Situationen, in denen die "Bedingungen und praktischen Umstände es unverantwortlich machen würden, sich für eine Fortpflanzung zu entscheiden".

Debatte über Reformen

Dies löste eine Debatte über die mögliche Reformierbarkeit der katholischen Lehre zu eben diesem Thema aus. Deren Grundlage findet sich in der Enzyklika "Humanae vitae" von Papst Paul VI. (1963-1978).

In dem 1968 veröffentlichten Lehrschreiben, das auch als Antwort der Kirche auf die Antibabypille interpretiert wurde, formulierte der Papst, dass "jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben" müsse.

Konkret lehnt die Enzyklika alle Formen der künstlichen Empfängnisverhütung wie Kondome oder die Pille ab und sieht nur natürliche Methoden der Verhütung wie die Temperatur- oder Zyklusmethode als moralisch vertretbar an. Mit scharfen Worten warnt das Lehrschreiben, dass künstliche Formen der Verhütung zu vielfacher ehelicher Untreue führen würden und dass sie letztlich dazu beitragen könnten, die Frau zum Sexualobjekt zu degradieren. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) bestätigte seinen Vorgänger mit "Evangelium vitae" (1995); auch Benedikt XVI. (2005-2013) bekräftigte die Ablehnung von künstlicher Empfängnisverhütung durch die katholische Kirche.

Wie verhält sich Franziskus?

Bricht Franziskus nun mit der Lehre seiner Vorgänger und schreibt sie gar um? Er selbst hatte "Humanae vitae" wiederholt als "prophetisch" bezeichnet, schlägt in seiner Enzyklika "Amoris laetitia" aber einen etwas anderen Ton an: "Es gilt, die Botschaft der Enzyklika (...) wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss". Es geht also nicht mehr um die moralische Bewertung von Verhütungsmethoden - auch wenn für natürliche Familienplanung geworben wird -, sondern eher um die Schönheit und menschliche Würde des Mutter- und Vaterwerdens.

Papst Franziskus hält seine Ansprache während des Mittagsgebets / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Franziskus hält seine Ansprache während des Mittagsgebets / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

Ob er könnte, wenn er denn wollte - darüber wurde vor allem auf dem Nachrichtendienst Twitter heftig diskutiert. Hauptakteur: Die Päpstliche Akademie für das Leben. Kritisiert wurde sie scharf für den Inhalt des Konferenz-Buches. So hielten es einige für unangemessen, als eine offizielle vatikanische Einrichtung Stimmen aufzunehmen, die einige der zentralen Morallehren der Kirche in Frage stellten. Zudem sei Empfängnisverhütung keine offene Frage und die Haltung der Kirche dazu eindeutig.

Reaktion der Päpstlichen Akademie

Sehr ausführlich reagierte die Akademie auf die "vielen ungerechtfertigten und heftigen Angriffe", die sie nach eigener Aussage erhalten hatte. Immer wieder erklärte sie das Prinzip von "Debatte und Dialog", auch "um die ethische Reflexion voranzutreiben und Lösungen zu finden". Die Einrichtung sei ein "Symbol für eine bemerkenswerte intellektuelle Redlichkeit, die der Kirche selbst zur Ehre gereicht". Weiter gebe es "keine Zerstörung" der "Doktrin", sondern eine offene und freie Debatte unter Theologen". Und: "Was heute umstritten ist, kann sich ändern." Kann es das? Die Debatte jedenfalls mündete in ebendieser Frage und gelöschten Tweets über die "Unfehlbarkeit" von "Humanae vitae".

In einer ausführlichen, aber nicht mehr verfügbaren Stellungnahme zweifelte die Akademie dies an: "Was die spezifische Frage der Empfängnisverhütung betrifft, als der Moraltheologe der Päpstlichen Lateranuniversität, Ferdinando Lambruschini, am 29. Juli 1968 Humanae vitae in einer Pressekonferenz im Vatikan vorstellte und dabei auf die Frage eines Journalisten antwortete, erklärte er - im Auftrag von Paul VI. -, dass die Enzyklika 'Humanae vitae' keine endgültige Glaubenswahrheit ausdrückt, die durch 'infallibilitas in docendo' (Unfehlbarkeit im Lehramt) gewährt wird."

Historische Vergleiche

Paul VI. habe dies auch nicht getan, als Krakaus Erzbischof Karol Wojtyla ihn darum bat, so die Akademie weiter. Auch als Papst habe Johannes Paul II. dies nicht nachgeholt. In einem anderen gelöschten Tweet hieß es: Historische Aufzeichnungen von Lambruschini, dem späteren Erzbischof von Perugia, bestätigten, Paul VI. habe ihm direkt gesagt, dass "Humanae vitae" nicht der Unfehlbarkeit unterliege.

Über die Konferenz von 2021 und das nun publizierte Buch jedenfalls sei Franziskus nicht nur informiert gewesen, er habe der Veröffentlichung auch zugestimmt, erklärte Akademieleiter Paglia in einem Interview. Franziskus selbst sagte bei der Pressekonferenz nach seiner letzten Reise zu dem Thema: "Man kann keine Theologie mit einem 'Nein' davor machen. Die theologische Entwicklung müsse offen sein und das Lehramt müsse helfen, die Grenzen zu verstehen. "Ich denke, das ist ganz klar: eine Kirche, die ihr Denken nicht im kirchlichen Sinne weiterentwickelt, ist eine Kirche, die sich zurückentwickelt", so der Papst.

"Es ist legitim, sich zu fragen", kommentierte der Jesuit Jorge Jose Ferrer in der Zeitschrift "La Civilta Cattolica" die Bucherscheinung, "ob Papst Franziskus uns eine neue Enzyklika oder ein apostolisches Schreiben zur Bioethik vorlegen wird, das er vielleicht 'Gaudium vitae' (Freude des Lebens) nennen könnte". Ein Kommentar in einer Jesuitenzeitschrift übrigens, die vor Erscheinen vatikanische Behörden passieren muss.

Quelle:
KNA