Debatte über Bioethik und Sexualpolitik in den USA hält an

Zwischen Verhütung und Verteidigungspolitik

Erstmals werden Frauen in den USA rezeptfrei Antibabypillen kaufen können. Kritiker, darunter die katholische Kirche, verweisen auf die Nebenwirkungen. Zudem sollen Kosten für Abtreibungen von Soldatinnen nicht mehr erstattet werden.

Eine Gruppe von Katholiken demonstriert am 3. Mai 2022 vor dem Sitz des Obersten Gerichtshofes in Washington, DC USA, für legale Abtreibungen  / © 010110010101101
Eine Gruppe von Katholiken demonstriert am 3. Mai 2022 vor dem Sitz des Obersten Gerichtshofes in Washington, DC USA, für legale Abtreibungen / © 010110010101101

Wieder einmal gibt es in den USA Schlagzeilen zu Debatten um Verhütung und Abtreibung.

Ein halbes Jahrhundert nach Einführung der verschreibungspflichtigen Verhütungspille, sollen Amerikanerinnen auch im freien Verkauf Zugang zu einem solchen Präparat bekommen.

Antibabypille ohne Rezept und Altersbeschränkung

Von Anfang kommenden Jahres an wird der irische Pharma-Hersteller Perrigo das am Donnerstag von der "Food and Drug Administration" (FDA) zugelassene Medikament "Opill" ohne Altersbeschränkungen anbieten.

"Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Millionen Menschen in den USA die Möglichkeit bekommen, ein rezeptfreies orales Verhütungsmittel zu erhalten", erklärt die bei der FDA zuständige Direktorin Patrizia Cavazzoni die historische Dimension der Entscheidung.

Von der Verteidigungspolitik zur Abtreibung

Nahezu zeitgleich machte eine weitere Nachricht die Runde, die auf den ersten Blick gar nichts mit den Themen Verhütung und Abtreibung zu tun zu haben scheint.

Im Repräsentantenhaus lieferten sich Republikaner und Demokraten ein Kräftemessen bei der Debatte zum alljährlichen Gesetzentwurf zur Verteidigungspolitik.

Blick auf das Kapitol in Washington, am Morgen nach den Kongresswahlen. / © J. Scott Applewhite (dpa)
Blick auf das Kapitol in Washington, am Morgen nach den Kongresswahlen. / © J. Scott Applewhite ( dpa )

Die angespannte Sicherheitslage in der Welt macht eine schnelle Verabschiedung aus Sicht vieler Politiker dringlich.

Keine Finanzierung "geschlechtsbejahender Gesundheitsdienste"

Die Republikaner drückten dabei, wie die "New York Times" berichtet, einige Änderungen auf einem ganz anderen Gebiet durch.

Mit jeweils knappen Mehrheiten beschloss das Repräsentantenhaus am Donnerstag (Ortszeit), eine Pentagon-Richtlinie aufzuheben, wonach Militärangehörigen nicht mehr die Reisekosten erstattet werden sollen, wenn diese für eine Abtreibung in einen anderen US-Staat fahren.

Weiter sollen sogenannte geschlechtsbejahende Gesundheitsdienste (laut der WHO soziale, psychologische und medizinische Eingriffe, die "die individuelle Geschlechtsidentität unterstützen und bestätigen", Anm. d. Red.) für Transgender-Soldaten und ihre Familien nicht mehr länger finanziert und die "Diversitätsschulung" für Militärpersonal eingeschränkt werden.

Druck auf Regierung nahm nach Ende von Abtreibungsrecht zu

Oberstes US-Gericht öffnet Weg für Abtreibungsverbote

Das oberste Gericht der USA ermöglichte den Bundesstaaten mit einem Urteil von Juni 2022 ein Verbot von Abtreibungen. Die Richter in Washington hoben das Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" auf, das im Jahr 1973 Abtreibungen zur Privatsache erklärte. Bisher hatte das Gericht demnach Abbrüche bis zur 24. Schwangerschaftswoche für rechtmäßig erklärt.

Abtreibungsrecht USA - Oberster Gerichtshof / © Mariam Zuhaib/AP (dpa)
Abtreibungsrecht USA - Oberster Gerichtshof / © Mariam Zuhaib/AP ( dpa )

Politische und gesellschaftliche Gegensätze zeigen sich auch im Umgang mit der Verhütungspille.

Während diese in mehr als 100 anderen Staaten zum Teil schon seit langer Zeit ohne Rezept verkauft wird, haben Gegner in den USA – darunter die katholische Kirche – dies bis zuletzt verhindert.

Mit dem vom Supreme Court vor etwas mehr als einem Jahr beendeten Recht auf straffreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nahm der Druck auf die US-Regierung zu, mindestens die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln zu verbessern.

Viele Schwangerschaften in den USA ungeplant

Die USA liegen unter den westlichen Industrienationen mit vorn bei den unbeabsichtigten Schwangerschaften. Laut Statistik des zuständigen Centers for Disease Control – CDC – ist fast jede zweite Schwangerschaft nicht geplant.

Das "Guttmacher Institut" schlüsselt diese Zahlen weiter auf. Demnach sind 18 Prozent der Schwangerschaften "überhaupt nicht" und 27 Prozent "später" gewollt.

Die Statistik zeigt auch, dass die Schere zwischen armen und besserverdienenden Frauen immer weiter auseinanderklafft.

Nicht weiße Amerikanerinnen häufiger ungewollt schwanger

Laut Guttmacher werden arme, junge und nicht weiße Amerikanerinnen deutlich häufiger ungewollt schwanger als der Rest der Bevölkerung.

Vor dem jüngsten Urteil des Obersten Gerichts beendeten viele dieser Betroffenen ihre Schwangerschaft durch einen legalen Abbruch.

Diese Möglichkeit steht Frauen in weiten Teilen des Südens und Mittleren Westens heute nicht mehr zur Verfügung.

Protestantische Abtreibungsgegner hielten sich mit Kritik zurück

Die Entscheidung der FDA macht nach Ansicht von Organisationen, die sich für die Entscheidungsfreiheit von Frauen bei Fragen der "Geburtenkontrolle" wie Abtreibung oder Empfängnisverhütung starkmachen, einen im Alltag spürbaren Unterschied.

Victoria Nichols, Leiterin des Projekts "Free the Pill" begrüßte den Beschluss -– ebenso wie Ärzteverbände. Auffällig: Vor allem protestantische Abtreibungsgegner hielten sich mit Kritik an der freien Abgabe der Pille zurück.

Die Zulassung war im Mai von einem FDA-Beratergremium aus 17 unabhängigen Wissenschaftlern einstimmig empfohlen worden.

Kritiker der "Pille" verweisen auf Nebenwirkungen

Einzelne Kritiker innerhalb der Behörde und Vertreter der katholischen Kirche machten Sicherheitsbedenken geltend. Unterdessen geht das Tauziehen um den Gesetzentwurf zur Verteidigungspolitik im Kongress weiter.

In der kommenden Woche soll der Senat darüber befinden. Beobachter erwarten, dass die Demokraten versuchen werden, die im Repräsentantenhaus verabschiedeten Regelungen zu Abtreibung wieder rückgängig zu machen.

Enzyklika "Humanae vitae"

Die am 29. Juli 1968 veröffentlichte Papstenzyklika "Humanae Vitae - Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens" ist bis heute grundlegend für das Nein der katholischen Kirche zur künstlichen Empfängnisverhütung. In dem Lehrschreiben, das auch als Antwort der Kirche auf die Antibabypille interpretiert wurde, formulierte Papst Paul VI. (1963-1978), dass "jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben" müsse.

Bischöfe empfehlen Verliebten die Enzyklika "Humanae Vitae" (dpa)
Bischöfe empfehlen Verliebten die Enzyklika "Humanae Vitae" / ( dpa )
Quelle:
DR , KNA