Das religiöse Buch des Monats Mai

Es geht um Kult

Borromäusverein und Sankt Michaelsbund empfehlen für den Mai das Buch von Reinhard Marx: "Kult. Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft". Kösel Verlag, München 2025, 176 Seiten, 20,00 Euro.

Bücherstapel auf einem Tisch / © Jure Divich (shutterstock)
Bücherstapel auf einem Tisch / © Jure Divich ( shutterstock )

"Christentum ist Kult!" Wer würde solch einer Aussage heute noch zustimmen - in einer Zeit, da Kirchen, Konfessionen und religiöser Glaube in der Gesellschaft rapide an Bedeutung und Ansehen verlieren? Natürlich ist der Münchner Erzbischof Reinhard Marx kein Realitätsverweigerer; vielmehr benutzt er bewusst die Doppeldeutigkeit des Begriffes "Kult", um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Gerade in einer Zeit des scheinbar unvermeidlichen Niedergangs der christlichen Kirchen in Deutschland möchte Kardinal Marx dennoch an der grundsätzlichen Zuversicht festhalten, dass das Christentum auch in einer quantitativ reduzierten und vielleicht veränderten Gestalt seine große Bedeutung für die hiesige Gesellschaft, ja die ganze Welt bewahren kann. Denn es ist in seinem Wesenskern nicht nur eine Weltanschauung, eine besondere Ethik oder eine einzigartige mystische Erfahrung, sondern eben: Kult.

Das Gegenteil von Weltflucht

Der Begriff "Kult" steht in der Religionsgeschichte für die Versuche des Menschen, zu Gott in Beziehung zu treten. Das Christentum geht davon aus, dass in Jesus Christus Gott selbst Mensch geworden ist; die Begegnung mit Jesus ist also das alles Entscheidende. Sie war aber nicht nur für Jesu Zeitgenossen möglich, sondern auch nach seinem Sterben und seiner Auferstehung für alle Menschen - in der Feier der Eucharistie, in der die Hingabe Jesu am Kreuz nicht nur erinnert, sondern gegenwärtig wird. "Das bezeichne ich im engeren Sinn mit dem Wort Kult: ein Mahl, in dem das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu von Nazareth ... gefeiert und damit in die jeweilige Mitte und Gegenwart hineingeholt und gegenwärtig wird."

Die Feier des Gottesdienstes, insbesondere der Eucharistie, ist für das Christentum der Wesenskern. Aber ist das nicht Weltflucht und Rückzug in die Innerlichkeit, die Bedeutung der Gottesdienstfeier so hervorzuheben? Im Gegenteil: "Von Anfang an durchbricht diese Gemeinschaft Grenzen von Kultur, Sprache, Herkunft, Geschlecht. Die Begegnung mit dem geheimnisvollen Gott ... hat Auswirkungen auf das Miteinander der Menschen und auf die konkrete Praxis ihres Lebens."

Die Eucharistiefeier schafft eine neue Gemeinschaft der Menschen untereinander - und sie ist zugleich Sendung in die Welt, um die Frohe Botschaft zu allen Menschen zu bringen. Was der Kult in dieser Weise für die Menschen leistet - den Alltag zu unterbrechen und ihm eine völlig andere Perspektive einer befreienden Erlösung zu geben, die für alle Menschen gilt - vermag nichts und niemand anderes zu leisten.

Wertvoller Beitrag

Diese Überlegungen von Kardinal Marx sind alles andere als eine binnentheologische Selbstberuhigung und schon gar nicht weltfremdes Wunschdenken. Vielmehr sind sie gerade im selbstkritischen Ringen um den richtigen Weg der Kirche in die Zukunft angesichts der enormen Austrittszahlen und in der Auseinandersetzung mit soziologischen und religionsphilosophischen Positionen entstanden, wie sie etwa Hartmut Rosa oder Jürgen Habermas vertreten. 

Dahinter steht die tiefe Überzeugung, dass die Religion der Gesellschaft Wesentliches zu geben hat - nicht nur die Hinwendung zur Transzendenz, sondern auch eine Horizonterweiterung im Hinblick auf die Gemeinschaft der Menschen untereinander.

Überzeugende" zentrale Aussage

Dieses Wissen um die Unverzichtbarkeit der Religion führt keineswegs zu Überheblichkeit - zu gut weiß der Autor um die Schwächen der Kirche, wie sie gerade der Missbrauchsskandal zu Tage treten ließ. Vielmehr führt dieses Wissen zu einem realistischen Bewusstsein des eigenen Wertes. Denn dieser wird nicht von der Kirche selbst produziert, sondern von Gott geschenkt - aber nicht allein der Kirche, sondern durch diese allen Menschen. 

Gerade um ihren Auftrag für die Welt zu erfüllen, muss sich die Kirche darum wieder stärker auf ihren Wesenskern besinnen. Dazu kann dieses Buch mit seiner überzeugenden zentralen Aussage und vielen weiterführenden Anregungen einen wertvollen Beitrag leisten. 

Reinhard Marx

Der Westfale Reinhard Marx (* 21. September 1953) ist seit 2008 Erzbischof von München und Freising. Der damalige Papst Benedikt XVI. hatte Marx vom Bischofsstuhl in Trier nach Bayern befördert. Dass Papst Franziskus sein Rücktrittsgesuch als Ortsbischof nach nur vier Wochen in einem äußerst persönlichen Antwortschreiben nicht angenommen hat, zeigt die besondere Verbindung der beiden.

Reinhard Kardinal Marx
 / © Julia Steinbrecht (KNA)
Reinhard Kardinal Marx / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA ,