Taizé-Bruder schaut auf Corona-Zeit und Jugendtreffen in Turin

"Das hat es Jahrzehnte nicht gegeben"

Corona hat Taizé verändert. Weniger Gemeinschaft, zeitweise keine Besucher und die Grundlagen des Lebens mussten neu gefunden werden. Doch es gibt einen Lichtblick: Das Jugendtreffen in Turin findet statt - in Präsenz und online.

Brüder der Gemeinschaft von Taizé beim gemeinsamen Gebet / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Brüder der Gemeinschaft von Taizé beim gemeinsamen Gebet / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie als Taizé Gemeinschaft durch die bisherige Corona-Zeit gekommen?

Frère Timothée (Bruder in der  Taizé-Gemeinschaft): Es war natürlich sehr eigen und sehr ungewohnt für uns. Zeitweise hatten wir gar keine Besucher und Besucherinnen. Das hatte es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Insgesamt war sehr viel weniger los als sonst.

Es war aber auch eine Zeit, in der wir gezwungenermaßen auf uns schauen mussten: Wie organisieren wir uns? Welche Vorsichtsmaßnahmen treffen wir? Wenn man zu siebzig zusammenlebt und nicht aufpasst, kann so ein Virus von einem auf alle übergehen. Also haben wir uns zeitweise in Kleingruppen organisiert. Dadurch hat sich der Alltag stark verändert. Ob man zu 70 oder zu zehnt zusammen isst, macht einen Unterschied. Man ist dann mit den zehn der Kleingruppe enger beisammen.

Wir leben zwar nicht direkt von den Gästen, aber wir leben von dem Verkauf von Dingen, die wir hergestellt haben. Wenn weniger Gäste da sind, macht das natürlich auch da ein Unterschied. Daher mussten wir schauen, wie wir uns da anders aufstellen können. So sind wir teilweise auf die Wochenmärkte gegangen und haben dort verkauft. Das hat nochmal einen anderen Kontakt mit Menschen in der Umgebung eröffnet. Sonst war der Eindruck: Ja, okay, die Brüder machen da ihre internationalen Treffen. Plötzlich waren wir auf dem Wochenmarkt und hatten andere Formen von Begegnung.

DOMRADIO.DE: Was verkaufen Sie?

Frère Timothée: Wir haben zum Beispiel eine Töpfereiwerkstatt. Das ist etwas, was man schlecht verschicken kann. Ansonsten entstand aber auch viel Neues. Einige Brüder haben eine Kekswerkstatt eröffnet. Sie haben angefangen, in der Großküche, die sonst für die Jugendtreffen verwendet wird, Kekse zu backen. Einzelne von uns haben im Weinberg mitgeholfen. Also war es auch eine Zeit, in der andere Dinge möglich waren und wir Neues entdeckt haben. Trotzdem waren wir natürlich froh, als die Treffen wieder mehr Raum einnehmen konnten.

DOMRADIO.DE: Wonach suchen die Besucher bei Ihnen?

Frère Timothée: Direkt nach den wirklichen Lockdowns, wie in Frankreich - Deutschland hatte ja nur Kontaktbeschränkungen -, da waren es wirklich die Begegnungen. Inzwischen ist auch schon ein Zurückschauen auf diese Zeit dabei. Durch diese angespannte Gesamtlage war nicht immer die Zeit, sich selbst irgendwie grundlegende Fragen zu stellen. Was hat das jetzt für mich bedeutet? Was habe ich neu festgestellt, an mir selber kennengelernt, neu verstanden? Jetzt ist es wieder mehr so, dass bei uns Abstand vom Alltag gewonnen werden kann und von außen auf den Alltag geblickt wird.

DOMRADIO.DE:  Die Jugendtreffen sind immer etwas ganz besonderes. Viele hatten ihre Turin-Fahrt bereits gebucht und vorbereitet. Wie geht es jetzt weiter?

Frère Timothée: Ja, letztes Jahr konnten wir schon früh abschätzen, dass man zum Jahreswechsel keinen Jugendtreffen in einer Stadt vorbereiten konnte. Dafür waren wir in diesem Jahr natürlich hoffnungsvoller. Doch die Situation ist so, dass wir nicht wissen können, was am Ende dabei rauskommt. Wir wollen aber auf jeden Fall alles versuchen, was möglich ist und hatten zumindest ein Treffen mit weniger Teilnehmenden als in anderen Jahren geplant .

Doch im November wurde absehbar, dass sich die Corona-Lage verschärft, dass die Auflagen schwieriger werden; dass wir die Teilnehmenden nicht wie üblich bei privaten Gastgebern und Gastgeberinnen oder gar in Gemeinschaftsunterkünften unterbringen können. Dann war auch nicht absehbar, unter welchem Schutzkonzept das Treffen stattfinden sollte: 3G, 2G, 2G+? Was passiert, wenn jemand Kontakte hat oder in Italien in Quarantäne muss?

Es war klar: Wir können das Treffen nicht wie wir es geplant hatten durchführen. Natürlich war das für diejenigen, die sich gefreut hatten dorthin zu fahren, schade. Gleichzeitig wurde uns aber auch viel Verständnis signalisiert, dass das Treffen unter den Umständen nicht durchführbar ist.

So haben wir uns dann für die Verschiebung entschieden. Einerseits, damit Turin eine Perspektive bleibt, weil wir die Treffen immer gemeinsam mit den Kirchen vor Ort vorbereiten. Wir laden im Juli ein, dann ist die Situation hoffentlich besser und man kann viel mehr draußen machen. So kann dort trotzdem ein Treffen in Präsenz stattfinden, in welcher Form auch immer.

Jetzt in den Tagen, da das Treffen eigentlich immer um Silvester stattfindet, machen wir Übertragungen. Ein Teil aus Taizé. Dort sind im Moment knapp hundert Leute zu Gast. Tagsüber übertragen wir aber direkt aus Turin. Gebete, aber auch Themen-Treffen. Eins zum Thema Migration, eins zum Thema Klimawandel. Das ist als ein kleines Programm gedacht für die Leute vor Ort. Außerdem sind die Veranstatlungen auch im Internet frei zugänglich.

DOMRADIO.DE: Wie bekommt man online so ein Gemeinschaftsgefühl hin?

Frère Timothée: Ich denke, für Leute, die diese Erfahrung schon mal vor Ort gemacht haben, die sich darauf vorbereitet haben hinzufahren, die haben schon ein Bewusstsein für das Miteinander. Jetzt ist natürlich alles ein bisschen blockiert, aber trotzdem hat man sich auf etwas gemeinsames vorbereitet. Allein das kann schon ein verbindender Punkt sein. Das haben wir schon die ganze Pandemie über gespürt.

Wir haben, je nachdem wie streng der Lockdown war, relativ viel aus Taizé an Gebeten übertragen. Dazu haben wir viel Rückmeldung bekommen, dass die Gebete für viele ein wichtiger Punkt waren; gerade auch während der Lockdowns, in einer Zeit, in der nur wenige Begegnungen möglich waren, wenige Gebetsfeiern und Gottesdiensten besucht werden konnten. Da brach für viele ein wichtiger Punkt am Tag weg und sie konnten wenigstens online teilnehmen und auch Mitbeten. Über die Kommentarspalte bei Facebook konnten die Teilnehmer auch ihre Gebetsanliegen miteinander teilen und austauschen.

Aber natürlich war dann auch das Bedürfnis groß, als Dinge wieder präsent möglich wurden. Das haben wir auch gemerkt, wenn die Menschen zu uns kamen. Die waren alle froh, wieder wirklich nebeneinander zu sitzen. Natürlich mit Abstand, aber in echt miteinander sitzen zu können, ist noch mal etwas anderes.

DOMRADIO.DE: Seit den 70er-Jahren finden die Jugendtreffen über den Jahreswechsel statt. Warum gerade rund um Silvester?

Frère Timothée: Es ist erstmal ein pragmatischer Zeitpunkt, um internationale Begegnung europaweit zu ermöglichen. Denn das Datum ermöglicht vielen Menschen relativ unabhängig vom Herkunftsland zu verreisen, weil alle irgendwie zwischen den Jahren frei haben. Weihnachten ist rum, die Familienfeiern sind zu Ende, der Arbeitsalltag geht eher im neuen Jahr wieder so richtig los. Insofern ist das erstmal ein pragmatischer Zeitpunkt.

Dann ist es aber auch für viele ein bewusster Schritt, sich selbst zu sagen: ‘Okay, ich setze dieses Jahr aus’. Indem man zum Treffen fährt, gibt man Silvester einen anderen Akzent. Es geht eben nicht um die große Party, sondern um diese Begegnung.

Am Silvesterabend gibt es um 23.00 Uhr ein Gebet. Im Anschluss kann man sich ein gutes neues Jahr wünschen. Das ist wirklich so eine Art Verlangsamung. Mann kommt in einer Ruhe ins neue Jahr. Das ist für viele auch eine bewusste Entscheidung.

DOMRADIO.DE: Was planen Sie konkret für das Sommer-Treffen in Turin?

Frère Timothée: Wir fangen sozusagen von vorne an. Wir haben keine Ahnung, ob da jetzt 500, 5000 oder vielleicht mehr Leute kommen werden. Es ist alles noch ein bisschen unplanbar, auch durch das andere Datum. Wie wird das Datum das Anmeldeverhalten der potenziellen Teilnehmer beeinflussen? Das kann man nicht wissen. Aber wie immer bei der Vorbereitung von diesen Treffen, wollen wir uns gemeinsam mit den Kirchen vor Ort auf den Weg machen und gemeinsam einen Weg finden.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Frère Timothée (privat)
Frère Timothée / ( privat )
Quelle:
DR