DOMRADIO.DE: Frau Gause, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?
Gundula Gause (ZDF-Nachrichtenmoderatorin): Für mich ist Gott in Allem und im Nichts. Erfahrbar ist er für mich immer und gewissermaßen auch nie. Aber er ist da. Für mich trägt Gott im Alltag. Im Guten wie im Bösen. Er trägt in der Gesellschaft, in meiner Familie, den Nächsten und mich selbst. Für mich ist der Glaube ein Geschenk, das ich ohne große Zweifel annehme. Und ich mache die Erfahrung: Mein Glaube tut mir gut, sehr gut.
Vielleicht unterliegen Agnostiker einem Missverständnis, möchten sie ja zum Ausdruck bringen, dass man Gott nicht beweisen kann. Aber das kann man eben auch nicht. Glaube ist nicht Wissen. Und im zweiten der Zehn Gebote ist das ja auch ausgesagt: Du sollst dir kein Bild von Gott machen, keinerlei Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. Dieses Gebot soll verhindern, dass Gott auf menschliche Vorstellungen reduziert und dadurch eingeschränkt wird; es fordert stattdessen eine unmittelbare, persönliche Beziehung zu Gott.
DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?
Gause: Natürlich stellt man seinen Glauben auch infrage. Glaube ist zwar etwas sehr Grundsätzliches, aber Glaube ist auch situativ. Und so wie im Leben alles fließt und schwankt, so tut es auch der Glaube. Schon das Wissen um diese Dynamik beruhigt mich. Die Zeiten, in denen sich Glaubenszweifler für schlechte Christen hielten, sind ja spätestens seit dem zweiten Vaticanum vorbei.
Der Gedanke, den Glauben als Geschenk annehmen zu dürfen, gibt mir Zuversicht und Geborgenheit, führt mich weg vom "Ich" und hin zum "Du". Die nun 2000 Jahre alten Geschichten des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, bewahrt in der Bibel, verweisen auf andere Ebenen und führen mich immer wieder aus Tälern heraus.
DOMRADIO.DE: Als evangelisch engagierte Christin waren Sie im Jahr 2017 Botschafterin für das große Jubiläum zu 500 Jahren Reformation. Ihr Mann ist Katholik, von daher ist die Ökumene ein Thema bei Ihnen zuhause. Doch beide großen Kirchen verlieren zunehmend an Bedeutung, was Sie auch schon öffentlich beklagt haben. Wie halten Sie dagegen, und wie sehr greift in Ihrem Alltag der Kompass Ihres christlichen Glaubens?
Gause: An sich sollte die Ökumene, das gleichberechtigte Miteinander der Konfessionen auf Basis des gemeinsamen Glaubens, eine Selbstverständlichkeit sein. Der Unterschied zwischen den einzelnen christlichen Glaubensgemeinschaften ist für mich als Laiin so marginal, dass er bestenfalls noch zum Theologenstreit taugt. Das bestätigen mir viele Christinnen und Christen. Für christliche "Normalos" ist es an sich gar kein Thema mehr. Dass die Starrheit von Jahrhunderte alten Organisationsformen bei allem Bemühen von so vielen stärker ist als der eigentlich christliche Geist des Zusammengehens ist – leider Gottes – eine der traurigen Herausforderungen unserer Kirchenaktualität.
Wenn man sieht, wie sehr die christliche Kirche in Europa – anders als zum Beispiel die Kirche in Afrika – in Bedrängnis ist, und wir mal in großen Zeiträumen denken, dann ist es für mich ein tragfähiger Kompromiss, dass diese beiden Kirchen in einer Form wieder stärker aufeinander zugehen. Im Kern geht es doch um das Christliche und um das Christentum. Von daher ist für mich die Lösung eine gelebte Ökumene.
Und was den persönlichen Kompass angeht: Es gibt so viel Positives und Hilfreiches, das aus dem Glauben resultiert: zum Beispiel die geniale Kombination von Eigen-, Nächsten- und Gottesliebe und ihre Folgen. Das ist etwas, woran ich mich ganz wunderbar orientieren kann und was in meinem Leben seinen festen Platz hat, weil es da um ein gesundes Selbstverständnis, den aufmerksamen und fürsorglichen Blick auf andere und die Anerkennung einer göttlichen Macht geht: dass es jemanden gibt, der diese wunderbare Welt – mit allen ihren Wundern, aber auch Fehlern – geschaffen hat und wir uns jederzeit in Freiheit für oder gegen ihn entscheiden können.
DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun – Ihr Beruf, aber auch Ihr soziales Engagement – auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr Selbstverständnis, aber auch Ihr Wirken in Kirche und Gesellschaft?
Gause: Der Glaube trägt so viele Menschen in ihrer Arbeit und in ihrem ehrenamtlichen Engagement. Die christliche Caritas und Diakonie sowie der Respekt vor dem Mitmenschen und der Natur, die Relativierung der eigenen Persönlichkeit und der daraus folgende Schutz vor zu großer Selbstbezogenheit wirkt sich für viele auf ihr Tun aus. Das ist bei mir nicht anders. Und selbst wenn der Gedanke ein bisschen "strange" klingt: Der Draht zur Ewigkeit, zum Jenseits und dem anderen, sehr viel Größeren, das uns kleine Menschlein trägt, weitet Motivation und Arbeitsethos.
Ich habe mich vor langer Zeit entschieden, in einem christlichen Wertekonstrukt zu leben und gebe das mit meinem Mann auch an unsere Kinder weiter. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen darüber nachdenken würden, wie sie ihren Glauben leben wollen und können und dafür unter Umständen auch neue Ausdrucksformen finden. Jedenfalls sollten wir für Entwicklungen und Reformen immer offen sein, schließlich geht es darum, diese Kirche, die Jesus Christus als Gemeinschaft eingesetzt hat, am Leben zu erhalten und daraus Impulse für unser Zusammenleben zu beziehen.
Glaube und Leben stehen für mich in einer sehr positiven Wechselwirkung. Vieles, was einem selbst und anderen gut tut, hat auch starke Wurzeln im Glauben. Und vieles an Leid in der Welt oder auch an persönlichen Sorgen ist, wenn ich mich an Gott rückgebunden fühle, leichter zu ertragen. Auch Versöhnung, das Aufeinanderzugehen oder wieder Aufeinanderzugehen – gerade auch dann, wenn einem spontan nach einer ganz anderer Reaktion zumute ist – fällt leichter aus dem Glauben heraus. Ich lebe zwar im Hier und Jetzt – mein Glaube aber verweist auf sehr viel mehr.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.