Corona-Pandemie hinterlässt Spuren in der evangelischen Kirche

Die schweren Jahre wirken nach

Abgeriegelte Altenheime und digitale Gottesdienste: Die Corona-Zeit hat die evangelische Kirche tief erschüttert. Eine neue Umfrage zeigt, wo die Kirche versagt hat und was sie für künftige Pandemien lernen kann.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
Maskenpflicht: Gottesdienst in Zeiten von Corona / © Julia Steinbrecht (KNA)
Maskenpflicht: Gottesdienst in Zeiten von Corona / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Gottesdienste gab es zeitweise nur im digitalen Raum, das Abendmahl war ausgesetzt, Gemeindekreise fanden nicht mehr statt. An Weihnachten fuhren Pastoren mit Traktoren durch die Dörfer, um vom Anhänger aus das Evangelium zu verkünden - mit Sicherheitsabstand. Fünf Jahre ist es her, seit die Corona-Pandemie auch die evangelische Kirche bis ins Mark getroffen hat.

Wie sehr das bis heute nachwirkt, zeigt eine Umfrage, die die bayerische Landeskirche kürzlich veröffentlicht hat. Im Februar und März dieses Jahres stellte das Bischofsbüro den Kirchenmitgliedern drei Fragen, die per Kontaktformular oder E-Mail beantwortet werden konnten. Sie lauteten: Welche Erfahrungen haben Sie mit der innerkirchlichen Kommunikation und den Prozessen während der Corona-Zeit in den Jahren 2020 bis 2022 gemacht? Welche langfristigen positiven bzw. negativen Folgen der Pandemie für die kirchliche Arbeit nehmen Sie wahr? Welche entscheidenden Erkenntnisse sollten wir aus der Pandemie ziehen, um in der nächsten Krise klüger und wirkungsvoller zu handeln?

Kirchenglieder beklagen Ausgrenzung

333 Antworten gingen ein, die Ergebnisse sind also nicht repräsentativ. Kritisiert wurde etwa eine zu juristische und intransparente Kommunikation des Landeskirchenamts. Und während sich kirchliche Strukturen in der Pandemie flexibilisierten, hätten sich Mitarbeiter mehr Fürsorge von ihrer Kirche gewünscht. Begrüßt wurden die Digitalisierung in der Kirche und die zunehmenden Möglichkeit des mobilen Arbeitens.

Auf Kritik stieß die angeblich in der Pandemie deutlich gewordene zu große Nähe von Kirche und Staat. "Die Absage von Osterfeiern 2020 war theologisch verantwortungslos", schreibt ein Teilnehmer. "Sobald man sich kritisch gegenüber den Maßnahmen geäußert hat, wurde man zum Verschwörungstheoretiker erklärt oder der rechtsradikalen Szene zugeordnet. Ich war erschüttert", meint ein anderer. Die "Impfthematik" habe zu "nachhaltigen Ausgrenzungserfahrungen unter Gemeindegliedern" geführt, heißt es in einer Zusammenfassung der Umfrage.

Landesbischof fordert neue Prioritäten

Aus Sicht von Landesbischof Christian Kopp muss sich die Kirche auf weitere Pandemien deswegen anders vorbereiten. Nötig sei eine unbedingte Konzentration auf die bestmögliche Betreuung der Kinder und Jugendlichen. Schulschließungen sollten unbedingt vermieden werden. Zudem bräuchten Seelsorger einen ungehinderten Zugang zu Seniorenheimen und Behinderteneinrichtungen. Ein zentraler Punkt sei auch, mit all den Menschen im Dialog zu bleiben, "für die die Einschränkungen in der Pandemie Grundrechte verletzt haben und die sich dadurch von Staat und auch ihrer Kirche entfernt haben", so Kopp.

Die bayerische Landeskirche ist nur eine von 20 Gliedkirchen der EKD. Die rheinische Landeskirche hat offenbar ähnliche Rückmeldungen bekommen. Man habe bereits konkrete Lehren daraus gezogen, sagt die Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene, Wibke Janssen, auf Anfrage des KNA-Hintergrunds. "Im Blick auf strategische Überlegungen in der Seelsorge, besonders im Blick auf krisenhafte Situationen, nehmen wir konsequenter vulnerable Gruppen in den Blick."

Seelsorge trotz Lockdown

Im Gespräch mit Verantwortungsträgern stelle man immer wieder fest, dass es eine "Kultur rheinischer Lösungen" gegeben habe. Viele hätten eigeninitiativ und sehr verantwortlich trotzdem Seelsorge und Unterstützung möglich gemacht. Diese Kultur wolle man wertschätzen und fördern.

Auch die Ökumene soll künftig eine stärkere Rolle spielen. "Organisatorisch und seelsorglich sind wir gut. Für unsere theologische Deutungskompetenz und unsere Grundhaltung dazu, wie gefährdet Leben sein kann, können wir in der Ökumene aber viel lernen", so Janssen. Dabei spiele gerade für internationale ökumenische Kontakte die Digitalität weiter eine wichtige Rolle: So könnten gemeinsame Projekte von Anfang an bilateral und auf Augenhöhe besprochen werden.

Gottesdienste für Post-Covid-Betroffene

Ganz ähnlich sind auch die Erfahrungen in der Nordkirche. Die Verantwortlichen seien sich bewusst, dass die Pandemie bei vielen bis heute nachwirke, so eine Sprecherin auf Anfrage. Deswegen habe die Landeskirche liturgische Bausteine entwickelt, um Gottesdienste feiern zu können zum Tag der Menschen, die infolge von Corona vom Erschöpfungssyndrom ME/CFS betroffen sind.

Gemeinsam mit dem katholischen Erzbistum Hamburg wurde ein Gottesdienst im Andenken an die Leidtragenden der Corona-Pandemie veranstaltet. In Mecklenburg-Vorpommern bot Bischof Tilman Jeremias immer wieder Gesprächsrunden rund um die Pandemie an. "Aus unserer Sicht ist es vor allem wichtig, sensibel zu bleiben für die Bedürfnisse der Menschen - auch bezüglich dieses Themas - und Ängste und Nöte seelsorglich zu begleiten", erklärt die Sprecherin.

Widersprüchliche Regeln erschweren Bilanz

Allerdings hatte die Nordkirche, deren Gebiet sich über drei Bundesländer erstreckt, während der Pandemie mit stark unterschiedlichen, teils widersprüchlichen staatlichen Regelungen zu tun. "Allein diese Tatsache erschwert einen generalistischen landeskirchlichen Blick auf die Auswirkungen der Pandemie."

Religion nur für Minderheit wichtig bei Corona-Bewältigung

Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie spielten laut einer Studie für die meisten Deutschen die Wissenschaft sowie Familie und Nachbarschaft die entscheidende Rolle. Religion gab trotz einer vermehrten Sinnsuche nur einer Minderheit Orientierung. Das geht aus dem in Gütersloh veröffentlichten Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung hervor.

Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg (KNA)
Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg ( KNA )
Quelle:
KNA