Corona-Krise als Brandbeschleuniger bei Depressionen und Co?

Experten beklagen Engpässe bei Versorgung von psychisch Kranken

Die Corona-Krise belastet fast jeden. Menschen mit Depressionen oder Angststörungen sind besonders herausgefordert - und vielfach schlechter versorgt als üblich. Fachleute sehen aber auch Hoffnungszeichen.

Frau blickt aus dem Fenster / © Chayanin Wongpracha (shutterstock)
Frau blickt aus dem Fenster / © Chayanin Wongpracha ( shutterstock )

Meditationsapps, Online-Kurse gegen Schlafstörungen, die Telefonseelsorge: Angebote, die aus der Ferne gegen Sorgen helfen können, haben während der coronabedingten Einschränkungen einen Aufschwung erlebt. Mehrere Krankenkassen stellten entsprechende Programme kostenfrei zur Verfügung, ebenso die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Ein vollwertiger Ersatz für eine Behandlung mit Antidepressiva oder Face-to-Face-Psychotherapie sei das aber nicht, sagt deren Vorsitzender Ulrich Hegerl: "Eine akute Gefährdung lässt sich oft nur im direkten Gespräch erkennen."

Arzt- und Therapeutenbesuche sind unterdessen möglich - zeitweise haben Patienten aber darauf verzichtet, auch aus Angst vor einer Corona-Infektion. Experten warnten wiederholt vor einem "Vermeidungseffekt". Besonders verletzliche Gruppen, etwa Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende oder arme Menschen, hätten ohnehin "viel schlechtere Zugänge zu Hilfen", sagte der Psychiater Klaus Lieb kürzlich der "Welt".

Wirtschaft ein Faktor für Depressionen

Lieb bezeichnete es als "nicht unwahrscheinlich", dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise zu einem "starken Zuwachs an Depressionen und Suiziden" führen werden. Zudem sei damit zu rechnen, dass Krankheitsverläufe sich verschlechtert hätten, weil die Versorgung während der Beschränkungen nicht immer optimal gewesen sei. Die Maßnahmen hätten insgesamt zu einer "erhöhten Ängstlichkeit, Depressivität, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit in der Bevölkerung geführt", sagte der Forscher unter Verweis auf von ihm durchgeführte Befragungen.

Allein die Angst vor einer Ansteckung treibe niemanden in eine Depression, betont Hegerl. "Auch der Faktor, nur im Home Office zu sein und wenig äußere Impulse zu bekommen, wird als Ursache für Depressionen häufig überschätzt." Depressionen seien eine eigenständige Krankheit und mehr als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Allerdings könnten Sorgen wegen Corona eine bestehende Depression vergrößern. Zudem hätten die Maßnahmen gegen Corona zu einer schlechteren Behandlung vieler Erkrankter - und damit für Leid gesorgt: "Und das nicht in geringem Maß - das wird aber kaum thematisiert", kritisiert der Experte.

Fehlende Debatte

Zu den Corona-Maßnahmen fehle ihm eine offene Debatte. Wer Kritik übe, gelte schnell als "Corona-Leugner": "Vieles ist sicherlich gut gelaufen, aber jetzt geht es darum, zu analysieren, wieviel Leid und Tod durch die Maßnahmen eventuell verhindert und wieviel verursacht worden sind, damit die richtige Balance gefunden wird, wenn es im Herbst und Winter zu einer Coronawelle oder andern schwerwiegenden viralen Erkrankungen kommt."

Im Grunde, so Hegerl, sei von psychisch erkrankten Menschen erwartet worden, auf wichtige Behandlungen zu verzichten und gesundheitliche Nachteile in Kauf zu nehmen, um das Infektionsgeschehen zu dämpfen und eine Überforderung der Behandlungskapazitäten für Corona-Patienten zu vermeiden. Viele verängstigte Menschen hätten das allerdings nicht so gesehen, sondern eher den Eindruck gehabt, dass die Maßnahmen zu ihrem Schutz seien.

Hilfe zur Selbsthilfe

Lieb gibt aber zu bedenken, dass Menschen oft zu mehr in der Lage seien, als sie selbst glaubten. So könne es helfen, eine feste Tagesstruktur aufrecht zu erhalten, ausreichend zu schlafen, soziale Kontakte zu pflegen und auf sich selbst zu achten. Auch zu starker Medienkonsum habe laut Studien "eindeutig" die Angst und Verunsicherung gesteigert.

Hegerl rät zudem dazu, im Rahmen der Möglichkeiten aktiv zu bleiben. Ängste bekämen in Krisensituationen Futter - und könnten sich verstärken, wenn Betroffene sich zurückziehen. Manchen Menschen gelinge es indes, sich in der Krise auf "das Wichtige im Leben" zu besinnen: ein guter Ansatz, sagt der Experte.

Ähnlich sieht es der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde Sankt Bonifatius in London, Andreas Blum. "Ich kann auf all die Dinge gucken, die im Moment sehr schwierig sind, die mühsam sind, die auch kaputt gehen", sagte er in der Podcast-Reihe "Himmelklar". Ratsamer sei es jedoch, sich für die Hoffnung zu entscheiden, so der Seelsorger: "Das muss auch ich eigentlich jeden Morgen immer wieder neu."

Paula Konersmann


Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht / ( MDG )
Quelle:
KNA
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