Christine Bergmanns Weg von der Apothekerin zur Missbrauchsbeauftragten

Politik des offenen Ohres

Im Alter von 50 Jahren geht die Apothekerin Christine Bergmann in die Politik. «Ich habe im Herbst 1989 begriffen, dass Veränderung nur mit Hilfe von festen Strukturen möglich ist», erinnert sich die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Seither hat die heute 71-Jährige die Politik nicht mehr losgelassen.

Autor/in:
Barbara Schneider
 (DR)

Nach dem Fall der Mauer legte die Pharmazeutin, die im Jahr 1989 am Institut für Arzneimittelwesen der DDR promovierte, eine steile Karriere hin: 1990 zur Präsidentin der ersten frei gewählten Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt, war sie im schwarz-roten Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) Senatorin für Arbeit und Frauen. 1998 holte schließlich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sie als Familienministerin in sein rot-grünes Kabinett.



Einen leichten Stand hatten sie und ihr Ministerium nicht. Tat doch Schröder seinerzeit Familienpolitik als "Gedöns" ab. Gleichwohl machte Bergmann einige Schritte zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, führte anstelle des bisherigen Erziehungsurlaubs die Elternzeit ein und setzte ein Gesetz zur Teilzeitarbeit durch. Schröder zum Trotz sagt sie: "Diese Themen sind keine Randthemen." Die Aufwertung der Familienpolitik in den nachfolgenden Regierungen gibt ihr da wohl Recht.



"Unsere Situation war die der Dazugekommenen"

Zur SPD kam die gebürtige Dresdnerin über einen Aufruf an der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg, einem der wichtigsten Zentren der friedlichen Revolution in der DDR. Nach dem Mauerfall war sie 1990 maßgeblich daran beteiligt, dass sich die Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung eine eigene Verfassung gab. "Wir wollten nicht mit leeren Händen in die Demokratie kommen", sagt sie.



Und doch sei nach der Einheit schnell klargeworden: "Unsere Situation war die der Dazugekommenen." Ganze Biografien, Lebenswege und Lebensleistungen wurden infrage gestellt. "Wir haben durch die Jahre der Teilung keine gemeinsame Sozialisation", resümiert die Mutter zweier Kinder, die ihr Leben hindurch stets gearbeitet hat. Immer wieder kommt sie auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf zu sprechen. "Erwerbsarbeit von Frauen auch mit Kindern war in der DDR selbstverständlich und wurde nicht hinterfragt."



"Eine Kümmerin mit offenen Ohr"

In ihrer politischen Arbeit erwarb sich Bergmann den Ruf, kompetent und couragiert zu sein, aber lieber im Hintergrund zu arbeiten. Bergmann ist keine Frau der lauten Töne. Nach dem Rückzug aus der ersten Reihe in der Bundespolitik gehörte sie dem Ombudsrat an, der die Hartz-IV-Reformen kritisch begleiten sollte. "Eine wichtige Empfehlung war: Es darf in den Regelsätzen keinen Ost-West-Unterschied geben", erinnert sie sich. "Eine Kümmerin mit offenen Ohr" nannte die Parlamentskorrespondentin des "Tagesspiegels", Tissy Bruns, die Politikerin einmal.



In den vergangenen Jahren war es ruhig geworden um die Frau aus dem Osten. Als Anfang dieses Jahres immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch in kirchlichen und anderen Einrichtungen bekanntwurden, ernannte die Bundesregierung Bergmann zur Missbrauchsbeauftragten. Ihre Aufgabe: Anlaufstelle für Opfer sexueller Gewalt zu sein. Täglich nehmen ihre Mitarbeiter an der geschalteten Hotline Anrufe entgegen, lesen Briefe. Noch in diesem Jahr will der Runde Tisch gegen Kindesmissbrauch einen Zwischenbericht vorlegen. "Wir sind mit der Aufarbeitung noch lange nicht fertig", sagt Bergmann.