Caritas rät von Sachspenden für Erdbebenopfer eher ab

"Die sinnvollste Hilfe sind Geldspenden"

Geldspenden sind aus Sicht von Caritas international der sinnvollste Weg der Hilfe für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien. Ein Transport von Sachspenden sei zu langwierig, organisatorisch aufwendig und auch gefährlich.

Autor/in:
Christoph Arens
Hilfslieferungen für die Türkei und Syrien / © Christoph Schmidt (dpa)
Hilfslieferungen für die Türkei und Syrien / © Christoph Schmidt ( dpa )

KNA: Herr Müller, viele Menschen in Deutschland fühlen sich hilflos angesichts der katastrophalen Bilder aus den Erdbebengebieten in der Türkei und in Syrien. Was können wir tun?

Müller (Chef der Hilfsorganisation Caritas international): Die Solidarität ist wirklich groß. Der Zufluss an Spenden ist hoch, trotz der großen Hilfsbereitschaft für die Ukraine in den vergangenen Monaten. Die Menschen lassen sich ansprechen. Das ist ja vielleicht auch bei einer Naturkatastrophe einfacher als bei einer Notlage, die politisch hochbrisant ist.

KNA: Haben Sie schon Zahlen zu den Spenden?

Müller: Das Erdbeben war ja erst am Montag, und Bankspenden dauern eine Weile. Aber wir haben bisher allein an Online-Spenden schon über 600.000 Euro - das ist nach unseren Erfahrungen ein sehr hoher Wert.

Auch die Spenden, die über das ZDF und das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe eingehen, sind sehr gut. Diese Spenden werden zwischen den vier beteiligten Hilfsorganisationen - Diakonie Katastrophenhilfe, Rotes Kreuz, Unicef und Caritas international - geviertelt. Wir stimmen uns ab, wer wo Hilfe leistet.

KNA: Viele Bürger - gerade auch Menschen mit türkischen oder syrischen Wurzeln - rufen zu Sachspenden auf. Ist das sinnvoll?

Müller: Das ist zwar sehr gut gemeint, aber ich kann davon nur abraten, was Dinge des täglichen Lebens betrifft. Die sinnvollste und schnellste Hilfe sind Geldspenden. Gerade in der Türkei ist es sehr gut möglich, die notwendigen Hilfsgüter - Lebensmittel, Decken, Verbandsmaterial - auf den lokalen Märkten zu kaufen. Jetzt auf eigene Faust mit Autos und LkW Hilfsgüter in die Region zu bringen, dauert viel länger, sorgt auf den Wegen ins Katastrophengebiet für Chaos und bindet dann vor Ort viele Kräfte, die die Spenden sortieren und verteilen müssen. Wenn es schlecht läuft, gefährdet man sich noch selbst. Gerade bei den gegenwärtigen Witterungsbedingungen ist so eine Fahrt riskant.

KNA: Was ist mit schwierig zu beschaffenden oder hochwertigen Hilfsgütern wie Generatoren oder Baumaschinen?

Müller: Das kann im Einzelfall sinnvoll sein, aber auch da muss man genau wissen, wo welche Maschinen gebraucht werden. Die Koordination ist entscheidend. Und Güter nach Syrien zu bringen, ist für Privatleute aus politischen Gründen so gut wie unmöglich. Da haben selbst wir als große private Hilfsorganisation Schwierigkeiten. Auch bei der Ukraine-Hilfe haben sich viele Menschen ins Auto gesetzt und sind bis zur ukrainisch-polnischen Grenze gefahren - und dann hatten sie keine konkreten Abnehmer für ihre Hilfsgüter. Solche Transporte brauchen konkrete Absprachen mit dem Empfänger.

KNA: Also bleibt die Geldspende. Doch wie verteilen Sie das Geld?

Müller: Als Caritas haben wir seit Jahrzehnten enge Kontakte zur Caritas in Syrien und in der Türkei. Insbesondere die Caritas in Syrien hat mehrere Hundert hauptamtliche Mitarbeiter und noch mehr ehrenamtliche Helfer. Sie sprechen die Sprache der Leute, wissen, wo Arme und Bedürftige wohnen und was gebraucht wird. Die Kontakte zu den Behörden und Regierungsstellen sind eingespielt. In der Türkei sieht es anders aus. Die Caritas ist eine kleine Organisation, wir arbeiten dort aber auch mit anderen Nichtregierungsorganisationen zusammen. Zum Teil sind unsere Projektpartner in der Türkei auch selbst von dem Erdbeben betroffen und haben unter anderem Büroräume verloren.

KNA: Geologen haben immer wieder auf die hohe Wahrscheinlichkeit von Erdbeben in der Region hingewiesen. Haben die Hilfsorganisationen Vorräte und Lager für Maschinen für solche Katastrophen aufgebaut?

Müller: Es kann nicht Aufgabe von Hilfsorganisationen sein, Baumaschinen, schweres Gerät und Lebensmittelvorräte für solche Situationen über Jahre hinweg vorzuhalten. Das ist Aufgabe des Staates und wäre - auch aus Sicht der Spender - für uns viel zu teuer. Richtig ist aber, dass wir im Rahmen der normalen humanitären Hilfe Vorräte an Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs haben, die wir jetzt einsetzen.

KNA: Wie geht es weiter?

Müller: So eine riesige Katastrophe sorgt für ein unglaubliches Chaos. Wenn wir aus der Phase heraus sind, in der noch nach Überlebenden gesucht werden kann, werden die betroffenen Menschen noch über Monate mit Lebensmitteln und Unterkünften versorgt werden müssen.

Der Aufbau der zerstörten Gebiete in Syrien und der Türkei wird Jahre dauern und die langfristige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erfordern. Besonders in Syrien wird das schwierig sein, weil die politischen Probleme die humanitäre Situation überlagern.

Schon vor dem Erdbeben waren acht Millionen Menschen im Norden des Landes auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Krankenhäuser waren teilweise zerstört, es fehlte ärztliches Personal. Das Erdbeben hat sie Situation jetzt innerhalb von wenigen Minuten noch einmal drastisch verschlimmert.

Das Interview führte Christoph Arens.

Steinmeier erschüttert von Ausmaß der Erdbeben in Türkei und Syrien

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den von schweren Erdbeben betroffenen Menschen in der Türkei und Syrien seine Anteilnahme ausgesprochen. "Das Ausmaß von Tod und Zerstörung erschüttert mich tief", erklärte Steinmeier am Montag in Berlin.

Seine Gedanken seien bei den vielen Opfern, seine Anteilnahme gelte ihren Familien. Seine Hoffnung richte sich darauf, "dass noch viele aus den Trümmern gerettet werden können", erklärte Steinmeier weiter.

Zivilisten und Mitglieder der Weißhelme arbeiten in Idlib in Syrien an der Rettung von verschütteten Menschen / © Anas Alkharboutli (dpa)
Zivilisten und Mitglieder der Weißhelme arbeiten in Idlib in Syrien an der Rettung von verschütteten Menschen / © Anas Alkharboutli ( dpa )
Quelle:
KNA