Bundestags-Mehrheit anscheinend für Import neuer Stammzelllinien

Entscheid gegen den Volkswillen?

In der Auseinandersetzung um eine Lockerung des Stammzellgesetzes sieht der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, derzeit "eine klare Mehrheit derer, die einen Zugang zu neuen Stammzelllinien ermöglichen wollen". Laut Oppermann haben die meisten Bundestagsabgeordneten einen der beiden Anträge unterschrieben, die den Import neuer, aus menschlichen Embryonen gewonnener Stammzelllinien ermöglichen würden. Die Mehrheit der Deutschen hatte sich dagegen laut einer Umfrage der Position der katholischen Kirche angeschlossen.

 (DR)

Einer der Anträge fordert eine einmalige Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen, der andere die gänzliche Aufhebung des Stichtags. Gegenwärtig dürfen Forscher in Deutschland nur an embryonalen Stammzelllinien forschen, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland entstanden sind. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte sich für eine einmalige Verschiebung des Stichtages deutlich näher an die Gegenwart heran ausgesprochen und war dafür von der katholischen Kirche heftig kritisiert worden. Oppermann zufolge bringen die Befürworter des Imports neuer Stammzelllinien derzeit zusammen knapp 200 Abgeordnete hinter sich.

Den Gegenantrag, die jetzige Stichtagsregelung beizubehalten und das Stammzellgesetz nicht zu ändern, unterstützen Oppermann zufolge derzeit knapp 100 Abgeordnete. Eine kleine Gruppe um den CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe schließlich will zu einem gänzlichen Importverbot zurückkehren.

Oppermann sagte, die Beratungen und eine Entscheidung des Bundestages müssten "jetzt zum Abschluss gebracht werden". Für den 14. Februar sei eine dreistündige Debatte geplant, in der möglichst viele Abgeordnete zu Wort kommen sollten. Er selbst unterstütze die Position, die Stichtagsregelung aufzugeben. Hüppe und seine Parteikollegin Julia Klöckner hatten eine breite gesellschaftliche Debatte gefordert und vor übereilten Entscheidungen gewarnt. Sie werfen den Befürwortern einer Liberalisierung des Stammzellgesetzes vor, sie erzeugten "Zeitdruck". Viele Parlamentarier haben sich in der Frage noch nicht entschieden.

Traditionell sind die Abgeordneten bei Entscheidungen über Fragen des Lebensschutzes nicht an den Fraktionszwang gebunden. Die vorliegenden Anträge werden jeweils von Mitgliedern unterschiedlicher Fraktionen unterstützt, wenngleich sich auch in den Fraktionen Mehrheiten herausbilden. So unterstützt die FDP mehrheitlich den Antrag, die Stichtagsregelung ganz aufzugeben, während sich in einer internen Debatte der Unionsfraktion Ende vergangenen Jahres eine Mehrheit gegen den Import neuer Stammzelllinien ausgesprochen hatte.

Zwei Drittel aller Bundesbürger hatten sich in einer Umfrage des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL) gegen die Erzeugung oder Zerstörung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken ausgesprochen. "Das ist ein eindeutiges Signal an die Politik", so Claudia Kaminski, Vorsitzende des BVL im domradio. "Die Deutschen wollen keine verbrauchende Embryonenforschung."

Sozialethiker Körtner: Status des Embryos nicht allein entscheidend
Im Streit über eine Lockerung des Stammzellgesetzes können nach Ansicht des Sozialethikers Ulrich H. J. Körtner (Wien) evangelische Christen einem politischen Kompromiss wie der Verschiebung des Stichtages zustimmen. Aus guten theologischen Gründen sei es vertretbar, sich für eine bessere gesetzliche Lösung einzusetzen, die auch in Zukunft die Forschung an embryonalen Stammzellen erlaube, schreibt Körtner.

Die Frage nach dem Status des Embryos sei zwar von erheblicher Bedeutung, wenn es um forschungspolitische Entscheidungen gehe, so der in Wien lehrende evangelische Sozialethiker. Moralische und rechtliche Urteile ließen sich jedoch nicht unmittelbar aus von Biologen beobachteten Sachverhalten ableiten. Körtner betonte: Gottesebenbildlichkeit, Personalität und Menschwürde seien "Zuschreibungen". Deshalb bilde die Statusfrage zwar ein zentrales Element im Konflikt um die Forschung an embryonalen Stammzellen, sie sei aber nicht dessen entscheidende Lösung.

Mit Blick auf die innerevangelische Stammzell-Debatte beklagt Körtner, den Positionen des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, und der EKD-Synode mangele es an überzeugender Begründung. Zwar kritisiere Huber zu Recht die Grenzen des katholischen Verständnisses von Gewissensfreiheit. Wenn der Ratsvorsitzende aber den Alleinvertretungsanspruch des katholischen Lehramts zum Kern des Stammzell-Konflikts mache, lenke er damit von den Schwächen seiner Position ab.

Auch der Synodenbeschluss von 2007 zeichne sich durch "theologische Abstinenz" und Pragmatismus aus und begründe die eingeschränkt forschungsfreundliche Haltung der EKD mit "keinem einzigen ethischen oder theologischen Argument von Gewicht", kritisierte der Theologe.

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