DOMRADIO.DE: Es war nicht das erste Treffen zwischen Vertretern von Sant’Egidio und Bundespräsident Steinmeier. Der Bundespräsident schätzt Sant’Egidio besonders. Woher kommt diese Verbundenheit?
Cesare Zucconi (Generalsekretär von Sant’Egidio): Diese Verbundenheit hat er auch im Gespräch heute sehr betont. Schon 2017 war er bei Sant’Egidio zu Gast. Und 2023 nahm er an der Eröffnungsveranstaltung des Weltfriedenstreffens in Berlin unter dem Motto "Den Frieden wagen" teil.
Die Friedensarbeit von Sant’Egidio, angefangen beim historischen Friedensschluss in Mosambik bis hin zu weiteren Initiativen in Afrika, war bei den Treffen immer zentrale Themen. Der Bundespräsident wollte wissen, wie sich diese Arbeit heute gestaltet. Von beiden Seiten wurde betont, wie dringend und notwendig dieses Engagement ist. Nicht nur auf diplomatischer und politischer Ebene, sondern auch im Blick auf Versöhnung und Frieden innerhalb unserer Gesellschaften. Ein weiteres Thema war Afrika. Sant’Egidio ist in vielen afrikanischen Ländern präsent, mit zahlreichen afrikanischen Mitgliedern. Dabei haben wir insbesondere über die afrikanische Jugend und ihre Zukunftsperspektiven gesprochen. Auch das war ein wichtiger Gesprächspunkt.
DOMRADIO.DE: Sant’Egidio ist eine Gemeinschaft, die Brücken bauen will und auch in Kriegssituationen vermittelt. Was macht die besondere diplomatische Qualität von Sant’Egidio aus?
Zucconi: Es ist dieser hartnäckige Glaube und diese feste Überzeugung, dass Frieden nur durch Dialog möglich ist, dass Versöhnung zwischen Menschen machbar ist und dass Frieden immer erreichbar bleibt. Dieser Dialog braucht Geduld, Beharrlichkeit und glaubwürdige Vermittler. Sant’Egidio war und ist in vielen Krisen ein solcher glaubwürdiger Vermittler. Wir haben zum Beispiel über die Zentralafrikanische Republik gesprochen und über den Prozess der Entmilitarisierung verschiedener bewaffneter Gruppen, der in den vergangenen Jahren dank Sant’Egidio und auch einiger europäischer Länder vorangekommen ist.
Sant’Egidio verfolgt keine versteckte Agenda, sondern sucht nur den Frieden. Es gibt keine Eigeninteressen. Die Gemeinschaft arbeitet zudem immer in enger Synergie mit Regierungen. Ich denke hier besonders an die langjährige Zusammenarbeit mit der deutschen Regierung im Bereich Friedensarbeit und Entwicklungshilfe. Nicht zuletzt gehört auch humanitäre Hilfe zu unserer Friedensarbeit. Sant’Egidio ist sehr präsent in der Ukraine. Unsere Mitglieder setzen sich dort stark für Binnenflüchtlinge ein, auch dank der Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Und der Bundespräsident hat zugesichert, dass Deutschland die Ukraine auch weiterhin im humanitären Bereich unterstützen wird.
DOMRADIO.DE: Sant’Egidio ist ökumenisch ausgerichtet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist evangelisch. Spielt die Konfession überhaupt eine Rolle?
Zucconi: Ja, der christliche Glaube spielt durchaus eine Rolle. Der Bundespräsident ist ein gläubiger Mensch, das ist ein weiterer Grund für die Nähe und Verbundenheit.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie ihn persönlich im direkten Aufeinandertreffen erlebt?
Zucconi: Er ist ein sehr herzlicher, sehr direkter, unkomplizierter Mensch. Ebenso wie seine Frau, die ihn begleitete und auch schon früher bei Sant’Egidio zu Gast war. Gleich nach dem Treffen besuchten wir gemeinsam die Schule für italienische Sprache und Kultur, die Sant’Egidio auf der Piazza Santa Maria in Trastevere betreibt, nicht weit weg von dem Hauptzentrum von Sant’Egidio. Diese Schule ist kostenlos und richtet sich an Migrantinnen und Migranten. Wir nennen sie die "neuen Italiener". Tausende haben dort bereits Sprache und Kultur unseres Landes erlernt und sind so integriert worden. Dort habe ich den Präsidenten und seine Frau erlebt, wie sie sich mit den Menschen unterhalten haben. Sie haben mit vielen Migranten und Geflüchteten gesprochen, die dank der humanitären Korridore nach Italien gekommen sind. Dieses Projekt führen wir gemeinsam mit den italienischen Protestanten und weiteren Organisationen.
DOMRADIO.DE: Was nehmen Sie persönlich aus dem heutigen Treffen mit Bundespräsident Steinmeier mit?
Zucconi: Für uns war das eine große Ermutigung, unsere Zusammenarbeit und Freundschaft mit Deutschland fortzuführen. Der Bundespräsident schenkt Sant’Egidio immer wieder neue Aufmerksamkeit und zeigt großes Interesse an dem, was wir weltweit tun.
Das Interview führte Johannes Schröer.