Bundeslandwirtschaftsminister verteilt Essen an Bedürftige

"Umsetzung des Gebots der Nächstenliebe"

Seit Jahren hilft Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei der Essensausgabe in der Vesperkirche in Stuttgart. Würden sich mehr Menschen um ihren Nächsten kümmern, wäre die Welt eine bessere, ist er überzeugt.

Cem Özdemir (r.) besucht in der Stuttgarter Innenstadt Harrys Bude und steht neben Leiter Harry Pfau / © Christoph Schmidt (dpa)
Cem Özdemir (r.) besucht in der Stuttgarter Innenstadt Harrys Bude und steht neben Leiter Harry Pfau / © Christoph Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie helfen seit Jahren in der Vesperkirche, die jedes Frühjahr in der evangelischen Leonhardskirche in der Stuttgarter Innenstadt veranstaltet wird. Wie kam es dazu?

Cem Özdemir (Bundeslandwirtschaftsminister, Bündnis 90 / Die Grünen): Ja, ich mache das seit einigen Jahren. Seit ich Bundestagsabgeordneter in Stuttgart bin, versuche ich immer jedes Jahr teilzunehmen, auch jetzt als Bundesminister. Nach Möglichkeit nehme ich meine Kinder mit, damit die auch sehen: Uns geht es gut, wir haben jeden Tag ausreichend zu essen, wir haben ein Dach über dem Kopf, eine beheizte Wohnung.

Unweit von hier findet gerade ein schrecklicher Krieg statt. Putin hat die Ukraine angegriffen. Aber auch bei uns im Land gibt es Menschen in Not, die unter materieller, aber auch seelischer Armut leiden, weil sie eben allein sind, weil sie psychische Probleme haben.

Erstens erinnert einen das daran, wie dankbar man sein muss, dass es uns gut geht. Zweitens geht damit eine Verpflichtung derer einher, denen es besser geht, sich um die zu kümmern, denen es weniger gut geht, auch wenn diese Hilfe nur symbolisch ist. Aber natürlich reicht es nicht. Das Ziel sollte sein, dass es solche Einrichtungen gar nicht braucht.

Cem Özdemir (Bundeslandwirtschaftsminister, Bündnis 90 / Die Grünen)

"Deshalb gehört beides zusammen: die Bekämpfung der materiellen Not, aber eben auch zu sehen, dass sich hinter jedem Schicksal ein einzelner Mensch befindet. Ein Mensch, der auch Zuneigung, Zeit und Wertschätzung braucht."

DOMRADIO.DE: Wie kommt das Ganze denn bei den Leuten an? Was haben Sie erlebt, was haben Sie für Resonanz erfahren?

Özdemir: Viele freuen sich natürlich. Ich bin ja nicht der Einzige. Erst einmal ist das Wichtigste den Organisatoren Danke zu sagen, die das ausrichten: Der Kirche und allen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die jetzt nicht bei Ihnen im Interview sind, aber die genauso wichtig oder wichtiger sind. Auch die Mannschaft des VfB Stuttgart hat mitgeholfen und viele andere auch.

Ich glaube, was den Kunden und Kundinnen, so nennen wir sie ja, wichtig ist, ist, dass sie nicht nur ein warmes Essen und die Vesper bekommen, sondern auch Ohren, die ihnen zuhören und ein freundliches Lächeln. Da ist jemand, der sich ihnen zuwendet, sich Zeit für sie nimmt und sie als Menschen in ihrer Würde wahrnimmt.

Denn das ist das, was viele spiegeln. Sie haben das Gefühl, dass wenn es einem schlecht geht, wenn man Probleme hat, wenn man drogenkrank oder obdachlos ist, dass es damit einhergeht, dass sie in ihrer Würde nicht mehr wahrgenommen und ernst genommen werden.

Deshalb gehört beides zusammen: die Bekämpfung der materiellen Not, aber eben auch zu sehen, dass sich hinter jedem Schicksal ein einzelner Mensch befindet. Ein Mensch, der auch Zuneigung, Zeit und Wertschätzung braucht.

Cem Özdemir (Bundeslandwirtschaftsminister, Bündnis 90 / Die Grünen)

"Ich komme selber aus einer Arbeiterfamilie und habe den zweiten Bildungsweg gemacht und weiß, wie das ist, wenn man nicht immer nur auf der Sonnenseite des Lebens ist."

DOMRADIO.DE: Sie machen das ja jetzt schon seit einigen Jahren. Finden Sie als Bundeslandwirtschaftsminister dafür überhaupt noch Zeit?

Özdemir: Die muss ich mir nehmen. Das ist ja auch für mich wichtig, dass ich nicht vergesse, wo ich herkomme. Ich komme selber aus einer Arbeiterfamilie und habe den zweiten Bildungsweg gemacht und weiß, wie das ist, wenn man nicht immer nur auf der Sonnenseite des Lebens ist.

Aber es ist halt auch wichtig, dass man die Bodenhaftung nicht verliert und auch nicht vergisst, für wen man das macht. Ich sehe das auch als meine Jobbeschreibung, Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen und auch dafür zu sorgen, dass sich alle ein gesundes, vollwertiges Essen leisten können in Deutschland. Das gilt auch für diejenigen, die aus ärmeren oder bildungsfernen Familien kommen.

Das ist im Prinzip eine Erinnerung daran, dass wir den Job machen. Solange es Armut bei uns in der Gesellschaft gibt, solange haben wir alle miteinander unseren Job nicht gut gemacht.

DOMRADIO.DE: Merken Sie denn, dass das Interesse an solchen sozialen Angeboten jetzt in Krisenzeiten steigt?

Cem Özdemir / © Marijan Murat (dpa)
Cem Özdemir / © Marijan Murat ( dpa )

Özdemir: Ja, natürlich. Das hat auch mit Corona zu tun, das haben wir alle gemerkt, da war es schwieriger. Ich habe jetzt, nachdem ich bei der Vesperkirche war, noch "Harrys Bude" besucht. Das ist eine niedrigschwellige Einrichtung an der Kirche Sankt Maria, wo die Leute, etwa Obdachlose oder Drogenkranke, im Vorbeigehen eine Chance haben, auch ohne Sozialpass Lebensmittelspenden zu bekommen.

Die haben mir erzählt, dass selbst Studierende während Corona vorbeigekommen sind, weil sie keine Ferienjobs mehr hatten und darauf angewiesen waren, dass sie Essen bekommen, damit sie sich ein Essen zubereiten können. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie weitverbreitet Ernährungsarmut bei uns in der Gesellschaft ist.

Cem Özdemir (Bundeslandwirtschaftsminister, Bündnis 90 / Die Grünen)

"Das ist ja im Prinzip nichts anderes als die Umsetzung des christlichen Gebots der Nächstenliebe."

DOMRADIO.DE: Die Vesperkirche ist ein explizit kirchliches Projekt. Wie wichtig ist es denn, dass auch die Religionsgemeinschaften sich in dieser Form engagieren?

Özdemir: Man könnte sagen, das ist ja im Prinzip nichts anderes als die Umsetzung des christlichen Gebots der Nächstenliebe. Der Mensch begegnet einem im Nächsten. "Was ihr getan habt, diesem einem meiner Geringsten, das habt ihr mir getan", ist das Jesuswort. Die Umsetzung davon ist, dass man sich um den Menschen kümmert, der einem der Nächste ist.

Wenn das sich alle Religionsgemeinschaften zu Herzen nehmen und praktizieren, auch gerne diejenigen, die nicht gläubig sind – man kann das auch humanitär herleiten, dann wird der Planet ein besserer Ort. Das gilt global für das Thema Bekämpfung des Hungers im globalen Süden. Das gilt aber natürlich auch bei uns im unmittelbaren Umfeld. Armut, Not ist einem oft näher, als man denkt.

Das Interview führte Moritz Dege.

Ein Viertel aller jungen Menschen sind laut einer Studie armutsgefährdet

Rund ein Viertel aller jungen Menschen unter 25 Jahren ist laut einer neuen Studie in Deutschland armutsgefährdet. Dadurch hätten die jungen Menschen schlechtere Entwicklungs- und Teilhabechancen, heißt es in der vorgestellten Untersuchung der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS). Die Studie trägt den Titel "Monitor Jugendarmut in Deutschland 2022".

Jugendarmut Symbolbild / © Ground Picture (shutterstock)
Jugendarmut Symbolbild / © Ground Picture ( shutterstock )
Quelle:
DR
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