In Brasilien geht der Wahlkampf los

Glauben und abstimmen

Anfang Oktober wird in Brasilien der Nachfolger von Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva gewählt. Im "katholischsten Land der Welt" werden religiös geprägte Themen wie Abtreibung oder "Homo-Ehe" eine wichtige Rolle spielen. Die Kandidaten wissen, dass sie auf christliche Stimmen angewiesen sind - und wollen es sich mit keinem verderben.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

Er werde das Verbot der Abtreibung auf jeden Fall beibehalten, sagt etwa der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Jose Serra, der derzeit bei etwa 35 Prozent der Stimmen liegt. Auch für die sogenannte Homo-Ehe werde er sich nicht stark machen. "Dies ist ein Thema, bei dem der Staat sich nicht einzumischen hat." Jede Glaubensrichtung habe hier ihre eigenen Überzeugungen, so die vage Äußerung des Kandidaten.

Serra versucht ganz bewusst, religiöse Fettnäpfchen zu umschiffen. Schließlich hatten Äußerungen seiner stärksten Konkurrentin, der von Lula persönlich zu seiner Nachfolgerin aufgebauten Dilma Rousseff, die Kritik der Brasilianischen Bischofskonferenz provoziert. Die Kandidatin, die sich im vergangenen Jahren noch für eine liberale Gesetzgebung und eine "Entkriminalisierung" der Abtreibung aussprach, äußert sich mittlerweile deutlich zurückhaltender. Sie ist jetzt nur noch für eine Erweiterung der derzeit geltenden Ausnahmeregelungen.

Appell der Kirche
Bischof Luiz Gonzaga Bergonzini von Guarulhos, rief die Katholiken unter der Woche auf, nicht für Rousseff zustimmen. Die Begründung: Die Haltung ihrer Partei zur Abtreibung. Auch sollten die Gläubigen allen anderen Kandidaten ihre Stimme verweigern, die "derartige Liberalisierungen" vorantrieben. Offiziell hält sich die Bischofskonferenz zwar aus dem Wahlkampf heraus, veröffentlichte Bergonzinis Aufruf jedoch auf ihrer Webseite.

Ebenfalls gegen eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung und die "Homo-Ehe" sind die evangelikalen Pfingstkirchen, zu denen sich etwa 15 bis 20 Prozent der Brasilianer bekennen. Mit Vize-Präsident Jose Alencar haben sie einen Vertreter auf höchster Regierungsebene. Präsident Lula, dessen Wurzeln in der katholischen Arbeiterschaft liegen, hatte sich Alencar bewusst als seinen Vertreter ausgesucht, um das Stimmenpotenzial der evangelikalen Kirchen zu erschließen.

Ähnlich wie Lula versucht auch Rousseff, die die Umfragen mit 38 Prozent anführt, den Spagat zwischen den Religionen. So kommt es vor, dass sie am gleichen Tag eine katholische Messe und einen evangelikalen Kult besucht, um für Stimmen zu werben. Auch Jose Serra folgt dieser "Realpolitik ohne Glaubensschranken" und wirbt bei Katholiken wie bei den Pfingstkirchen.

Keiner hat die Nase deutlich vorn
Bisher hat kein Kandidat die Nase deutlich vorn. Umfragen zeigen, dass sich Serra und Rousseff bei Katholiken wie Pfingstkirchlern die Stimmen in etwa teilen werden. Die Kandidatin von der Grünen Partei PV, Marina Silva, ändert daran offenbar nichts - dabei gehört sie der Pfingstkirche "Assembleia de Deus" an, die etwa 8 Millionen Mitglieder hat. "Die Tatsache, dass sie unserer evangelikalen Gemeinde angehört, reicht nicht aus, damit wir sie als Kirche unterstützen," stellte jedoch Pastor Joel Freire von der "Assembleia" bereits klar.

"Die Pfingstkirchler unterstützen gerne diejenigen, die Chancen haben zu gewinnen", meint der Politikwissenschaftler Tiago Borges. So kommen Silvas Sympathisanten weniger aus der Pfingstkirche als aus progressiven studentischen Kreisen. Traditionell haben die Grünen-Wähler eine offene Haltung in Fragen von Abtreibung und "Homo-Ehe". Ein religiöser Diskurs würde Silva, die derzeit bei 12 Prozent der Stimmen liegt, also eher schaden. Dessen ist sie sich offenbar auch bewusst; ihre Reden hält sie religionsneutral.

"Der Glaube ist eher ein Nachteil, als ein Vorteil für sie," meint der Politikwissenschaftler Marco Aurelio Nogueira von der Universität Sao Paulo. Analysen zeigen zwar, dass Wähler sich eher aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Verhältnisse als aufgrund ihrer religiöser Überzeugungen entscheiden. Allerdings lassen sie sich von Aussagen, die ihren religiösen Überzeugen konträr entgegenstehen, an den Urnen abschrecken. Dies haben wohl alle drei Kandidaten verstanden - und vermeiden möglichst jede religiöse Kontroverse.