Brasilien streitet über eine Liberalisierung der Abtreibung

Abschaffung des "Verbrechens gegen das Leben"

Brasilien streitet sich: Muss Abtreibung verboten bleiben oder braucht das Land ein Abtreibungsgesetz "nach europäischen Standards"? Der Abbruch von Schwangerschaften ist heute nach brasilianischem Recht eine Straftat, ein "Verbrechen gegen das Leben". Doch die Regierung versucht, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem Abtreibungen möglich sind.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

Haftstrafen zwischen einem und zehn Jahren drohen denjenigen, die ungeborene Kinder töten. Ausnahmen gelten, wenn die werdende Mutter vergewaltigt wurde oder aber durch die Schwangerschaft in Lebensgefahr ist. Eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes über die Zulassung in Fällen von Anenzephalie steht noch aus. Die Lebenserwartung eines Kindes, das mit dieser schweren Gehirnschädigung geboren wird, beträgt nach der Geburt nur einige Tage.

Tausende Frauen setzten ihr Leben jährlich bei illegalen Abtreibungen aufs Spiel, erklärt der Menschenrechtssekretär der brasilianischen Regierung. Paulo de Tarso Vannuchi findet das "nicht hinnehmbar". In Hinterhöfen, heimlichen Arzthütten, bei "Engelmacherinnen" oder mit dem Kleiderbügel zu Hause - die meisten Abtreibungen in Brasilien sind wohl medizinisch zumindest bedenklich, oft gefährlich.

Gut eine Million Abtreibungen würden in Brasilien jährlich durchgeführt, schätzt Vannuchi - und etwa 250.000 Frauen müssten nach illegalen Abtreibungen in Krankenhäusern behandelt werden. "Diese Frauen dürfen neben den gesundheitlichen Schäden nicht auch noch juristische Konsequenzen fürchten müssen", sagt Vannuchi.

Kirchen protestieren lautstark gegen Plan
Ende Dezember hatte er den "3. Nationalen Menschenrechtsplan" vorgelegt. Der Plan sollte Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper als Teil ihrer grundsätzlichen Menschenrechte garantieren - einschließlich eines Rechts auf Abtreibung. Die Kirchen protestierten lautstark - und Präsident Luiz Inacio Lula da Silva ließ den entsprechenden Abschnitt ändern, bevor er den Menschenrechtsplan vor wenigen Tagen zur Abstimmung an den Kongress weiterreichte. Nun heißt es dort, dass Abtreibungen eine Frage des "öffentlichen Gesundheitssystems" seien - eine Formulierung, die zwar nicht ganz so liberal ist wie die vorherige, die aber trotzdem bei der katholischen Kirche keine Zustimmung findet.

"Was soll das denn konkret heißen? Das öffentliche Gesundheitssystem muss die Mutterschaft und die öffentliche Betreuung der Schwangeren an erste Stelle setzen", fordert Bischof Dimas Lara Barbosa, Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz, und fügt an, der Staat müsse viel stärker gegen illegale Abtreibungskliniken vorgehen.

Wenn die Abtreibungen nicht mehr heimlich durchgeführt würden, könnten viele Menschenleben gerettet werden, so die Gesundheitswissenschaftlerin Tizuko Shiraiwa. In einer aktuellen Studie weist sie nach, dass vor allem arme Frauen in Brasilien abtreiben, meistens, weil sie kein Geld haben und Angst davor, in noch größerer Armut zu leben. Eine weitere jüngst veröffentlichte Untersuchung ergab, dass von sieben Frauen im Alter von 18 bis 39 Jahren eine bereits eine Abtreibung hinter sich hat; in der Altersgruppe von 35 bis 39 Jahre sogar eine von fünf.

Die Mehrheit dieser Frauen seien wenig gebildet, verheiratet, religiös und hätten bereits Kinder, so die Anthropologin Debora Diniz, Mitautorin der Studie. Und die Betreffenden seien überzeugt, dass sie "in diesem Moment keine weiteren Kinder haben sollten". Deshalb trieben sie ab - obwohl sie sich strafbar machen.

Nicht mehr lange - wenn es nach Menschenrechtssekretär Vannuchi geht. Er sieht Brasilien auf dem Weg zu einem "modernen Abtreibungsrecht". Langfristig strebe Brasiliens Regierung eine Freigabe von Abtreibungen nach dem Vorbild europäischer Gesetzgebungen an, erklärt er. Auch die Kirchen würden dies dann akzeptieren. "Die bereits legalisierten Bedingungen von Abtreibungen werden von der Kirche schon nicht mehr infrage gestellt, und dies wird auch so sein, wenn wir uns an die europäische Standards angleichen", meint Vannuchi. Wie genau die Bedingungen aussehen sollen, ob es etwa eine Fristenlösung geben soll und wenn ja, bis zu welcher Schwangerschaftswoche Abtreibungen straffrei sein sollen, lässt er allerdings offen.