DOMRADIO.DE: Es ist der 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung der Konzentrationslager. Wie blicken Sie auf diesen Tag, den 8. Mai 1945?
Bischof Dr. Georg Bätzing (Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz): Ich bin gerade hier in Berlin, und als ich gestern Abend spät in die Stadt fuhr, habe ich mich gefragt, wie diese Stadt am 8. Mai 1945 aussah. Vertreibung, Zerstörung, Tod, Elend und Hunger waren die Folgen des Nationalismus, der Europa in eine Katastrophe stürzte und Millionen von Menschen das Leben kostete.
Da ist aber auch – so die andere Perspektive – die der Dankbarkeit und der Verantwortung. Wir leben 80 Jahre im Frieden in diesem Land und tragen Verantwortung dafür, dass das auch weiterhin mitten in Europa möglich ist.
DOMRADIO.DE: Die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung Deutschlands vom Faschismus aufrechterhalten, ist wichtig. Was ist Ihre Botschaft in dem ökumenischen Gottesdienst in Berlin?
Bätzing: Ich darf über die Bergpredigt, die Seligpreisungen sprechen. Es wird immer wieder mal gesagt, mit der Bergpredigt könne man keinen Staat machen, damit könne man keine Politik betreiben. Ich finde, man kann es doch, natürlich nicht die Tagespolitik, all die vielen Einzelfragen, die zu klären sind.
Aber das, was Jesus da anmahnt, Gerechtigkeit, Frieden, Sanftmut, Bescheidenheit, der Blick auf die Armen, ist doch etwas, was wir heute brauchen und was den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken kann, wenn wir von denen her denken, die am meisten Fürsorge und Wohlwollen brauchen.
DOMRADIO.DE: Dieser 8. Mai ist ein Gedenktag für die Opfer der Nazi-Diktatur. Er ist aber auch ein Mahnmal für Demokratie und Menschenwürde. Wie wichtig ist das in diesen Zeiten aus Sicht der katholischen Kirche? Welche Aufgabe haben Christinnen und Christen dabei?
Bätzing: Christinnen und Christen haben sich immer so verstanden, dass sie aus dem Glauben heraus, aus der tiefsten Wurzel des Evangeliums heraus, eine menschliche Gesellschaft mitgestalten wollen. Das müssen wir heute auch tun. Das ist unsere Aufgabe.
Wir sehen an den vielen Rändern, wie gefährdet dieser Frieden, dieser Zusammenhalt, diese Freiheit sind. Überall toben Kriege, denen Menschen ausgesetzt sind.
Hier in unserem Land gibt es zunehmende Polarisierung, Extremismus findet Anhängerschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Werte des Evangeliums, Menschlichkeit, Geschwisterlichkeit und die Sorge für Notleidende wieder einen großen Raum gewinnen und in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat auch politisch umgesetzt werden.
DOMRADIO.DE: Was können wir aus dem Damals lernen?
Bätzing: Es gibt den Frieden nicht, wenn einer nur an sich denkt. Nationalismus, so wie er heute auch wieder aufzukommen scheint, ist nicht die Lösung für eine friedvolle Zukunft in Verbindung mit der Völkergemeinschaft, sondern der Blick auf alle, diese Mitsorge für alle.
Wenn alle an alle denken, dann ist an alle gedacht. Das ist das, was Jesus uns vorgelebt hat: nicht an sich selber denken, sondern an alle denken und für alle auch bereit sein, sein Leben zu geben. Das ist großartig.
DOMRADIO.DE: Diese Feierlichkeiten, das Gedenken, fällt alles in das laufende Konklave. Noch gibt es kein Ergebnis, noch keinen weißen Rauch. Gestern Abend um 21 Uhr war er schwarz. Was wünschen Sie sich als Vorsitzender aller deutscher Bischöfe vom nächsten Papst?
Bätzing: Natürlich wünsche ich mir, dass der Weg, den Papst Franziskus eingeschlagen hat, weitergegangen werden kann, Synodalität gestärkt wird. Ich vertraue aber auf die Kraft des Heiligen Geistes, dass der Herr die Kirche demjenigen schenkt, der für diese Zeit wichtig ist und gute Entscheidungen trifft.
DOMRADIO.DE: Sie setzen sich auch für die Priesterweihe von Frauen in der katholischen Kirche ein. Können Sie sich vorstellen, dass so etwas mit dem neuen Papst kommen könnte?
Bätzing: Ich weiß nicht, wer der neue Papst wird, aber die Frage, dass Frauen in der Kirche zu gleichen Rechten kommen, steht in unseren kulturellen Kontexten oben an. Sonst verlieren wir noch die Frauen, und die Frauen tragen die Kirche. Das wissen wir doch, auf allen ihren Ebenen, in allen Gliederungen. Es gibt auch theologisch wenig starke Argumente dafür, diesen Ausschluss weiterhin zu begründen.
Das Interview führt Carsten Döpp.