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DOMRADIO.DE: Als Sie 2022 in Europa waren, sagten Sie, dass die internationale Gemeinschaft der Situation der Christen in Nigeria zu wenig Aufmerksamkeit schenke. Sie sprachen vom Schweigen der Welt. Hat sich seitdem etwas verändert?
Bischof Wilfred Chikpa Anagbe (Bistum Makurdi): Das Thema der Christenverfolgung ist nichts, was erst seit ein paar Jahren besteht. Es dauert seit mehr als 15 Jahren an und jeden Tag wird es schlimmer. Mein erstes Interview wurde in vier Sprachen übersetzt. Das allein hat bereits ein gewisses Bewusstsein geschaffen und die Erzählung unserer damaligen Regierung korrigiert – nämlich, dass die Krise durch den Klimawandel oder äußere Einflüsse verursacht sei. In Wirklichkeit stimmte das nicht.
Am 31. Oktober hat Donald Trump, der Präsident der Vereinigten Staaten, unsere Petition gehört und gesagt, dass die Menschenrechtsverletzungen und die Tötungen von Christen und Bürgern überhandnehmen und die Regierung endlich handeln müsse.
DOMRADIO.DE: Es gab viel Kritik, als Donald Trump über die Lage in Nigeria sprach, besonders, als er sagte, die Regierung tue zu wenig für die Christen. Wie reagieren Sie darauf?
Anagbe: Ich weiß nicht, woher diese Kritik kam. Aber war es ein Fakt oder eine Lüge, was Trump sagte? Denn Menschen werden getötet. Es geht nicht darum, wie viele Särge jede Seite hat. Menschen sterben täglich und das ist die Wahrheit. Keine vernünftige Regierung sollte schweigen und zuschauen, wie ihre Bürger abgeschlachtet werden. Die Regierung muss tun, was nötig ist, um Leben und Eigentum zu schützen. Das ist der erste Amtseid jeder Regierung: die Verfassung zu schützen und das Leben und Eigentum der Bürger zu bewahren. Genau das ist jetzt erforderlich.
DOMRADIO.DE: Die jüngsten Nachrichten aus Nigeria waren schlimm. Wir hörten von dem Mädcheninternat im Bundesstaat Kebbi. Dort wurde eine Lehrkraft getötet und 25 Schülerinnen wurden entführt. Wie kann diese Gewalt gestoppt werden?
Anagbe: Das zeigt, dass weiterhin sehr viel passiert. Vor diesem Vorfall hatten sie einen Brigadegeneral der nigerianischen Armee, vier Offiziere und einige Schüler entführt und getötet.
Am Sonntag sahen wir den Anschlag auf die protestantische Kirche im Bundesstaat Kwara. Die Menschen sahen es als Livestream. Jetzt die Entführung der Mädchen und die Ermordung des stellvertretenden Schulleiters, vermutlich weil er Widerstand leistete.
Sie entführten auch einen Priester in der Diözese Kaduna. Heute Morgen erhielten wir die Nachricht, dass auch er getötet wurde. Das ist die Realität. Deshalb fordern wir, dass die Regierung endlich das tun muss, was notwendig ist, um dieses Töten zu stoppen.
DOMRADIO.DE: Sie sind in diesen Tagen hier in Deutschland. Heute Abend nehmen Sie an einer Messe mit dem Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki, teil. Was erhoffen Sie sich? Was können Christen in Deutschland und Europa für ihre Schwestern und Brüder in Nigeria tun?
Anagbe: Gestern kam ich zur "Red Wednesday"-Gedenkfeier. Ein Teil davon ist das Gedenken an die verfolgte Kirche dort, wo Christen leiden und Verfolgung stattfindet. Es geht nicht nur darum, sich zu erinnern, sondern auch darum, für diese Menschen zu beten.
Vor allem in Nigeria, aber auch im Sudan, in Mosambik und in anderen Ländern leiden Christen täglich. Meine Bitte ist, dass Christen weiterhin Bewusstsein schaffen und sich für den Respekt vor dem menschlichen Leben und der Würde des Menschen einsetzen und dass Regierungen handeln, um dieses Töten zu beenden.
Sowohl Christen als auch Muslime werden getötet. Aber es sind nicht Christen, die Muslime töten. Es sind dieselben Täter, die auch liberale Muslime töten, weil sie ihre Ideologie nicht akzeptieren. Radikale fundamentalistische Muslime töten andere Muslime.
Im Bundesstaat Benue sind über 99 Prozent der 6,1 Millionen Einwohner Christen. Die katholische Kirche allein macht etwa drei Viertel der Bevölkerung Nigerias aus. Wir haben dort keine Fulani, die dauerhaft leben. Die Angreifer kommen von außen, töten die Menschen, besetzen die Dörfer. Die Bevölkerung lebt jetzt in Flüchtlingslagern im eigenen Land.
Die Welt muss wissen, was wirklich geschieht. Ich spreche nicht vom Hörensagen, sondern als jemand, der diese Ereignisse selbst miterlebt hat. Als Betroffener zusammen mit meinem Volk.
Ich gebe keine Meinung wieder. Ich erlebe das täglich. Die Menschen und viele meiner Priester sind schwer traumatisiert. Am 23. April 2018 wurden zwei meiner Priester während der Morgenmesse erschossen, zusammen mit 17 Gläubigen. Der Vizepräsident kam und viele nigerianische Bischöfe nahmen an der Beerdigungsmesse teil. Aber die Krise ging weiter.
Zwischen 2018 und 2025 habe ich etwa 21 Pfarreien in meiner Diözese verloren. Kein Bischof wäre glücklich und würde die Hände in den Schoß legen, während so etwas geschieht. Mein Volk lebt in Flüchtlingslagern und Terroristen besetzen ihre Ortschaften und Dörfer. Mein Gebet ist, dass sie in ihre Häuser zurückkehren und wieder ein normales menschliches Leben führen können.
DOMRADIO.DE: Was gibt Ihnen in einer solchen Situation Hoffnung?
Anagbe: Es ist schwierig und herausfordernd. Wenn ich Ihnen sagen würde, ich hätte keine Angst, würde ich nicht die Wahrheit sagen. Aber wir haben einen Auftrag. Jesus betete im Garten Getsemani: "Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen; doch nicht mein Wille geschehe, sondern deiner." Menschlich gesprochen war er voller Sorge, denn er hatte eine Mission zu erfüllen.
Ich habe ebenfalls eine Mission gegenüber den Menschen, die mir von Gott anvertraut wurden. Diese Menschen werden jeden Tag getötet. Ich kann nicht schweigen. Sie haben keine Stimme, aber ich habe die Möglichkeit, zu sprechen. Diejenigen, die getötet, vergewaltigt, verlassen wurden, können nicht sprechen. Wenn ich schweigen würde, wäre das kein Zeugnis für den Herrn. Denn ein guter Hirte läuft nicht davon, wenn die Herde angegriffen wird. Er bleibt bei ihr.
Das Interview führte Alexander Foxius.