Betroffene und Misereor klagen gegen Bergbauunternehmen und TÜV Süd

"Vale als auch TÜV Süd wussten, dass dieser Damm Probleme hat"

Als am 25. Januar 2019 der Staudamm einer Eisenerzmine in Brasilien brach, begrub eine riesige Schlammlawine 272 Menschen unter sich. Hinterbliebene klagen gegen das Unternehmen und den TÜV Süd und fordern Gerechtigkeit.

Demonstration gegen den Bergbaukonzern Vale in Rio de Janeiro / © Fabio Teixeira (dpa)
Demonstration gegen den Bergbaukonzern Vale in Rio de Janeiro / © Fabio Teixeira ( dpa )

DOMRADIO.DE: Als am 25. Januar 2019 ein riesiger Staudamm auf dem Gelände einer Eisenerzmine in Brumadinho im südöstlichen Bundesstaat Minas Gerais brach, wälzte sich eine gigantische Schlammlawine ins Tal, richtete furchtbare Verwüstungen an und tötete viele Menschen, obwohl ein brasilianisches Tochterunternehmen des TÜV Süd vier Monate zuvor den Damm noch als sicher eingestuft hatte.

Kritiker sagen, schon damals habe es offen sichtbare Mängel gegeben. Jetzt haben fünf Betroffene aus Brasilien zusammen mit dem katholischen Entwicklungswerk Misereor Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter von TÜV Süd in München sowie eine Ordnungswidrigkeitsanzeige gegen das Bergbauunternehmen selbst gestellt. Welche Folgen hatte der Dammbruch für die Menschen dort?

Susanne Friess (Misereor-Beraterin für Bergbau und Entwicklung in Lateinamerika): Der Dammbruch hat eine Welle aus giftigem Schlamm ins Tal gespült. Das waren elf Millionen Kubikmeter Schlamm, also eine riesige Welle, die 272 Menschen unter sich begraben hat. Viele von denen saßen zu der Zeit unterhalb von dem Damm in der Kantine beim Mittagessen, waren also Arbeiter des Bergbaukonzerns Vale und sind förmlich vom Schlamm überrollt worden.

Außerdem gab es kleine Hotels, Häuser, Ansiedlungen, die überrollt wurden. Auch Menschen, die auf der Straße waren, wurden überrollt. Es war eine vernichtende Welle. Innerhalb weniger Sekunden wurden 272 Menschenleben ausgelöscht.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt der TÜV Süd in diesem Fall? Warum klagen Sie?

Friess: Der TÜV Süd hat eine brasilianische Tochtergesellschaft, die den Damm im September 2018, also vier Monate vor dem Dammbruch, zertifiziert hat. Sie hat damit attestiert, dass der Damm sicher ist, obwohl der Damm erhebliche Mängel hatte und er die Anforderungen und einen bestimmten Sicherheitsfaktor nicht erfüllt hatte. Das wissen wir aus verschiedenen Unterlagen, weil es einen Schriftverkehr zwischen verschiedenen TÜV-Süd-Mitarbeitern gab, der bestätigt, dass ihnen die Mängel bekannt waren.

Trotzdem hat der TÜV Süd dieses Zertifikat ausgestellt und damit verhindert, dass die brasilianischen Behörden einschreiten. Nur wenn das Zertifikat nicht ausgestellt wird, schreiten die Behörden ein, evakuieren, räumen das Gelände, hätten in dem Fall zum Beispiel auch die Kantine geräumt.

DOMRADIO.DE: Der TÜV Süd und der Minenkonzern sprechen dagegen von einem Unglück.

Friess: Ja, die beiden sprechen von einem Unglück. Sie schieben sich auch gegenseitig die Verantwortung für dieses Desaster zu. Unsere Partnerorganisationen sprechen von einem Verbrechen, weil eben ganz klar auf dem Tisch liegt, dass sowohl Vale als auch TÜV Süd wussten, dass dieser Damm Probleme hat. Sie wussten, dass nicht nur wenige Wochen vorher, sondern mindestens ein Jahr vorher. Sie hätten also genug Zeit und alle Mittel gehabt, um einzugreifen, um diesen Dammbruch zu verhindern.

DOMRADIO.DE: Was wollen Sie mit der Anzeige, die Sie jetzt gestellt haben, erreichen?

Friess: Wir haben jetzt fünf Anzeigen aus Brasilien erstattet, zwei davon gemeinsam mit uns hier in Deutschland. Zum einen wollen wir Gerechtigkeit. Die Familien erwarten, dass hier in Deutschland auch Gerechtigkeit gesprochen wird, genauso wie sie das auch in Brasilien erwarten. Wir wollen aber darüber hinaus auch darauf hinweisen, dass deutsche Unternehmen immer wieder in zum Teil auch sehr schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Ausland verwickelt sind.

Das ist ein Problem, auf das wir schon lange im Bergbaubereich aber auch in anderen Bereichen hinweisen. Wir fordern ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, dass sie mit der gebührenden menschenrechtlichen Sorgfalt agieren. Nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in ihren Tochterunternehmen, Gesellschaften und Geschäftsbeziehungen im Ausland.

DOMRADIO.DE: Könnte sich ein solcher Fall in Brasilien wiederholen oder hat sich dort in Sachen Sicherheit und Bergbau vielleicht etwas verändert?

Friess: Es war ja nicht der erste Dammbruch. Der erste große Dammbruch ereignete sich 2015 in Mariana. Das ist gerade mal 120 Kilometer Luftlinie von Brumadinho entfernt. Insofern zeigt das schon, dass sich die Geschichte wiederholen kann.

Auch interessant: Der TÜV Süd selbst hat nach dem Dammbruch von Brumadinho ein Schreiben an Vale und die Behörden gesandt und ist sozusagen von den Sicherheitszertifikaten zurückgetreten, die sie für 40 Dämme ausgestellt hatten. Sie sagen, sie seien da wohl bei einigen oder vielleicht auch bei allen dieser Dämme zu optimistisch gewesen und könnten für keinen dieser Dämme die Sicherheit mehr garantieren.

Das zeigt sehr deutlich, dass die Situation sehr brisant ist, dass weitere Dämme brechen könnten. Dadurch dass auch andere Zertifizierungsunternehmen offenbar nicht mehr so leicht bereit sind, sozusagen die Standards zu senken und Zertifikate für Dämme auszustellen, die eigentlich schadhaft oder riskant sind, sind deshalb im Moment 54 Dämme in Brasilien ohne Sicherheitszertifikat.

Das heißt, sie erfüllen die Standards nicht und die Bevölkerung, die unterhalb dieser Dämme lebt, weiß nicht, was mit ihnen passieren wird. Kann dieser Damm jeden Moment brechen? Hält er noch eine Weile? Sie tappen völlig im Dunkeln. Sie wissen nur, für diesen Damm gibt es jetzt kein Zertifikat mehr und dass er die Sicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllt.

Das Interview führte Martin Mölder.


Ein Helfer sucht nach dem Dammbruch nach Überlebenden / © O Globo/GDA via ZUMA Wire (dpa)
Ein Helfer sucht nach dem Dammbruch nach Überlebenden / © O Globo/GDA via ZUMA Wire ( dpa )
Quelle:
DR