Laute Rufe nach Konsequenzen nach Dammbruch in Brasilien

"Dort ist ein Verbrechen passiert"

Nach dem Dammbruch in Brasilien ziehen Helfer immer mehr Tote aus dem Schlamm. Das Hilfswerk Adveniat spricht von einem von Menschenhand verursachten Verbrechen – und warnt vor weitreichenden Auswirkungen für Menschen und Umwelt.

Ein Helfer sucht nach dem Dammbruch nach Überlebenden / © O Globo/GDA via ZUMA Wire (dpa)
Ein Helfer sucht nach dem Dammbruch nach Überlebenden / © O Globo/GDA via ZUMA Wire ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nach dem Dammbruch an einer Eisenerzmine in Brasilien gibt es kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Wissen Sie denn durch ihre Projektpartner in Brasilien, wie es den Menschen aktuell dort geht?

Norbert Bolte (Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Ich habe gestern mit Projektpartnern dort telefoniert und das Klima ist geprägt von Verzweiflung: Die Menschen suchen nach den Vermissten. Die Einsatzkräfte - Feuerwehr, Polizei, Seelsorger, Psychologen - arbeiten rund um die Uhr. Das Erzbistum Belo Horizonte hat Spendenaktionen organisiert. Die Menschen helfen sich untereinander.

Ich habe ganz besonders ein Interview vor Augen, was ich gesehen habe, mit einem älteren Ehepaar, das sich in letzter Sekunde retten konnte: Die beiden beschreiben, was es bedeutet, alles verloren zu haben, nicht mehr schlafen zu können, traumatisiert zu sein. Und sie sagen auch: Es gab Sirenen, die aber nicht funktioniert haben, die uns nicht warnen konnten.

Es gibt ein hohes Bewusstsein über das, was da passiert ist. Es ist nicht ein bloßes Unglück, keine Tragödie, kein Unfall. Sondern hier ist etwas von Menschenhand gemacht worden, was zu erheblichen und schrecklichen Konsequenzen geführt hat. Und es gibt Verantwortliche dafür. Und darum sagt man auch: Es handelt sich um ein Verbrechen, was dort passiert ist.

 

 

DOMRADIO.DE: Es sind ja mittlerweile fünf Menschen festgenommen worden - drei Mitarbeiter des Bergbauunternehmen Vale und zwei Ingenieure des deutschen Unternehmens TÜV Süd, die zuletzt noch die Stabilität dieses Dammes geprüft hatten. Was ist denn dran an der Vermutung, dass der Damm überhaupt nicht sicher war?

Bolte: Dass jetzt die Strafverfolgungsbehörden in Brasilien so reagieren, ist für mich ein klares Zeichen: Hier wird etwas aufzudecken sein, was natürlich im Moment noch nicht genau spürbar ist. TÜV Süd selbst äußert sich im Moment überhaupt nicht dazu und sagt: Zu laufenden Ermittlungen machen wir keine weiteren Aussagen. Es gibt aber erhebliche Zweifel. Bekannt ist, dass es ein solches Gutachten gab. Bekannt ist aber auch, dass die Gefährdungsstufe 6 für diesen Damm im Dezember letzten Jahres, also kurz vor dem Dammbruch, nochmal heruntergesetzt wurde. Was es damit auf sich hat und warum das passiert ist - um die vermeintlichen Sicherheitsauflagen zu erfüllen oder um eine neue Betriebsgenehmigung zu bekommen - ist bisher noch im Dunkeln und muss überprüft werden. Hier müssen die Behörden etwas tun. Und da muss auch Druck von außen ausgeübt werden.

DOMRADIO.DE: Einige Zugeständnisse gibt es ja zumindest mündlich. Vale hat angekündigt, jeder betroffenen Familie eine Soforthilfe von gut 23.000 Euro auszuzahlen. Schon 2015 hat es ja ein Unglück gegeben an einem anderen Bauwerk und den Opfern damals wurden auch Entschädigungen versprochen. Was hat sich da denn getan?

Bolte: Nach unserem Eindruck hat sich die Sensibilität der Firma, die das Verbrechen zu verantworten hat, seitdem vergrößert. Allerdings ist das, was dort passiert ist, noch völlig unzureichend. Nach dem Verbrechen von 2015 gibt es zwar inzwischen Entschädigungen für die unmittelbar betroffenen Familien, die Hab und Gut verloren haben. Allerdings gibt es keine Entschädigungen für den weiteren Bereich, der damals mitbetroffen war, der auch jetzt wieder betroffen sein könnte; nämlich ein Flussdelta. Der Rio Doce, der damals auf 600 Kilometern betroffen war, war die Lebensader für eine ganze Region im Bundesstaat Minas Gerais. Und die dort lebenden Kleinbauern und Indigenen sind bis heute nicht entschädigt worden.

Etwas Ähnliches droht hier auch. Denn in einigen Tagen könnte die Schlammlawine mit ihren giftigen Bestandteilen im zweitwichtigsten Fluss Brasiliens, im Rio São Francisco, landen. Was dort passieren kann, wagen wir uns im Moment noch nicht einmal auszumalen. Also, es gibt eine unmittelbare Hilfe für die betroffenen Familien. Allerdings wird der weitere Bereich abzuwarten sein.

DOMRADIO.DE: Macht denn die neue Regierung des Präsidenten Bolsonaro Hoffnung, dass die Regeln für den Bergbau vielleicht strenger werden?

Bolte: Ich fürchte, dass genau das Gegenteil passieren wird. Die politische Agenda Brasiliens ist seit dem rechtsextremen Präsidenten geprägt von den Begriffen Flexibilisierung, Liberalisierung und Privatisierung. Genau das ist gerade vor 20 Jahren mit der Firma Vale passiert. Die wurde privatisiert. Und die öffentliche Hand hat damit auch ein Stück ihrer Verantwortung und Kontrolle über diese Firma aufgegeben. Das heißt, wir müssen befürchten, dass der Bergbau in Brasilien, der ohnehin schon eine riesige Bedeutung hat, noch weiter expandieren wird - auch zu Ungunsten der indigenen Bevölkerung und der Kleinbauern - und dass die Kontrollmöglichkeiten des Staates immer weiter zurückgefahren werden. 

Das Interview führte Verena Tröster.


Schlammlawine nach einem Dammbruch in Brasilien / © Bruno Correia (dpa)
Schlammlawine nach einem Dammbruch in Brasilien / © Bruno Correia ( dpa )
Quelle:
DR